durchbricht der neue Stil diese letztlich von der male-
rischen Faktur oder «peinture» gebildete Erscheinungs-
ebene.’ Einerseits bedeutet dies der bekannte Verlust der
Stilsicherheit, in die auch schwächere Werke alter Meister
zingebunden waren, andrerseits eröffnen sich neue
Möglichkeiten, etwa in der dinglichen Präsenz der abgebil-
deten Gegenstände oder im spannungsvollen Bezug der
Figurenkomposition zum Bildfeld, wie er von Füssli in
sxtremer Weise strapaziert wurde. In den frühen klassizi-
stischen Historien der Kauffmann, etwa dem «Abschied
Hektors von Andromache» (1768, Saltram House), stellt
sich das Problem; doch in den folgenden Jahren assimiliert
sie Rokoko-Formen und lockert Formstrenge und
Malweise derart, dass sie ein Idiom ganz eigenen Charakters
erreicht. Bezeichnend für die dadurch erzielte dekorative
Qualität darf die massenhafte Verbreitung ihrer Komposi-
tionen in qualitätsvollen Stichen als «furniture-prints»
gelten, die als Schmuck von Möbeln und anderem
dienten.® Diese harmonische Einheit vermag sie in ihren
späteren Werken zu wahren, auch wenn strenger klassizi-
stische Elemente zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Aus der späten Zeit stammt auch «Amor und Psyche»
(Abb. 1);? im Vergleich zur Ölskizze in Bregenz,® die in
hrer malerisch weicheren, atmosphärisch räumlicheren
Haltung noch fast an Fragonard erinnert, zeigt sich die klas-
sizistische Systematisierung der Figuren zu einer geschlos-
senen, bildparallelen Gruppe, die wie bei Füssli durch ein
zgeometrisches Netz von Entsprechungen verfestigt wird.
Ganz im Gegensatz zu ihm unternimmt aber Angelika
alles, um das Paar in das Bild einzubinden. In der Skizze
zeschah dies noch mit schwingenden Kurven, doch zur
Zeit des Hochklassizismus erschien das wohl bereits als
altmodisch; so greift sie für die Ausführung auf das schon
von Tizian eingeführte System diagonaler Baumstämme
zurück, deren Härte durch reiches Blattwerk gemildert
wird. Auch nach vorn und unten wird die Komposition
und der Bildraum durch das Bächlein und die Pflanzen
sorgfältig gerundet und geschlossen. Ebenso sucht sie einen
Ausgleich zwischen der nun geforderten plastischen Klar-
heit des Gegenständlichen und dem die Einheit der Bild-
fläche bewahrenden Eigenwert der Malerei, was sich beson-
ders gut im Faltenwerk beobachten lässt; die Modellierung
der Körper bleibt unakzentuiert weich und entspricht da-
mit zugleich der angestrebten Grazie und dem jugendlich
zarten Charakter der Protagonisten.
Damit wird die inhaltliche Dimension des Gemäldes
berührt und im Zusammenklang der formalen Mittel mit
der dargestellten Geschichte erweist sich erst sein beispiel-
hafter Charakter. Nicht von ungefähr führte es Angelika
Kauffmann als Nummer 1 auf einer kurzen Liste von etwa
fünfzehn Werken, die ihr besonders wichtig erschienen:
«Ein Gemälde, hoch 10 Ellen, breit 7 Ellen, mit lebens-
grossen Figuren, Amor und Psyche darstellend in dem
Moment, in dem Psyche nach ihrer Rückkehr von Proser-
pina entgegen dem erhaltenen Befehl das kleine Gefäss mit
Schönheitssalbe, das sie Venus bringen sollte, öffnete. Die
Dämpfe, die ihm entstiegen, liessen sie fast ın Ohnmacht
sinken. Amor tröstet sie und trocknet ihre Tränen mit
seinen eigenen Haaren. Das Sujet ermöglichte es mir, einen
sehr zarten und feinen Ausdruck darzustellen, und das
Gemälde ist wirklich interessant. Der Hintergrund wird
vom Eingang in die Unterwelt, umgeben von Felsen und
Buschwerk, gebildet.»!! Es ist genau dieser «zarte und feine
Ausdruck», für den Angelika zu recht berühmt war und der
der Idee der «schönen Seele», die damals berühmten Frauen
als vornehmste Zierde zuerkannt wurde, entsprach. Psyche,
die durch ihre Wohlgestalt die der Venus geschuldete
Verehrung auf sich zog, kann ja ganz wörtlich als Inbegriff
der schönen «Seele» gelten.
Tatsächlich gehörte das köstliche Märchen von Amor und
Psyche, das Apuleius mit subtiler Kunst und nicht ohne
[ronie in seinem erschröcklich-ergötzlichen «Goldenen
Esel» erzählt,? zu den Lieblingsthemen der Epoche; die
berühmten Darstellungen von Canova und David sind nur
die Spitzen des Eisbergs. Rokoko-Erotik und pompeja-
nische Neufunde verbinden sich hier und sehen sich durch
platonische Ideen veredelt; das aufklärerisch augenzwin-
kernde Verhältnis zur Götterwelt, das spielerische Gleiten
über die bedrohliche Macht von Tod und Schattenreich,
das Laster der Neugierde als Motor des Geschehens, die
psychologische Entwicklung in geschmeidiger Prosa'*:
alles entsprach dem Zeitgeschmack und berührte wesent-
liche Probleme, die sich durch die Auflösung der christ-