GRAPHISCHE SAMMLUNG
Ankäufe und Geschenke
Auch in der Graphischen Sammlung machen sich die
enormen Preissteigerungen auf dem Kunstmarkt an dem
merklichen Rückgang der Anzahl angekaufter Werke
bemerkbar, obwohl Zeichnungen und Druckgraphiken
natürlich weit unter den Preisen für Gemälde liegen. Aber
seitdem die Bilderpreise in astronomische Höhen
geschossen sind, haben immer mehr Sammler die Graphik
entdeckt, so dass es auch auf diesem Gebiet für die Museen
immer schwerer wird, mit dem unveränderten Budget sinn-
voll weiterzusammeln. Wir sehen deshalb unsere Aufgabe
verstärkt darin, rechtzeitig zu kaufen und mit den Künst-
lern, mit denen wir früh zusammengearbeitet haben, Kon-
takt zu halten und ihre Entwicklung zu verfolgen. So haben
wir im letzten Jahr zwei grossformatige Aquarelle und drei
Graphiken von Felix Droese, den wir 1986 im Graphischen
Kabinett mit seinen farbigen Blättern ausgestellt hatten, zu
der bereits bestehenden Gruppe von 47 Werken hinzu-
kaufen können. Eindrucksvoll ist insbesondere das Aqua-
rel] «Bewusstsein der Pflanze» von 1989 (Abb. S.). Das unre-
gelmässig beschnittene Format lässt an ein ausgebreitetes
Hemd denken, wobei der halbrunde Halsausschnitt als
Armel auf der linken Seite wieder angeheftet ist, ganz im
Sinne von Droeses bei seinen Papierschnitten angewen-
deter Devise, dass nichts verlorengeht. Die leichten
schwarzen Druckspuren auf dem weissen Papier wecken
Vorstellungen von durchbrochener Spitze, was auf die
Verwendung des Hemdes in feierlichen, liturgischen Hand-
lungen hinzuweisen scheint. Den religiösen Zusammen-
hang suggeriert auch der zartlila Torbogen im Mittelfeld
des Blattes, der als «Durchgang» und überwölbt von den
aureoleartig herabhängenden, hellgrünen Pflanzen-
formen auf das für Droese wichtige Thema vom Kreislauf
des Lebens zum Tod und der Erneuerung des Lebens aus
dem Tod verweist. Formen und Farben werden dabei
durchlässig für die «eigentlichen» Dinge. Sie werden zum
Ausdruck für die geistige Form einer Vision. Droese, der
stets als wacher und kritischer Beobachter auf unsere Welt-
situation reagiert, hat in den beiden Graphiken «Aus sich
selbst heraus» von 1989 mit dem Stempel «Haus der
Waffenlosigkeit» das Photo des Publikums vor dem deut-
schen Pavillon in Venedig benutzt, den er für seine Ausstel-
lung während der Biennale 1988 in dieser Weise umgetauft
hatte,
Von einem Künstler derselben Generation, von Gustav
Kluge, erwarben wir das Portfolio «Steht ein bucklicht
Männlein da...» von 1985 mit 12 Farbholzschnitten, in
denen Kluge seine Trauer und seine Kritik an gesellschaftli-
chen Verhältnissen in der Form von Metaphern zum
Ausdruck bringt. Das Volkslied vom buckligen Männlein
dient dazu, sein Bild von den Gezeichneten, Leidenden
und Gebrochenen zu formulieren, wobei er die Holz-
struktur ganz bewusst zur Verstärkung des Ausdrucksge-
halts einsetzt.
Von Enzo Cucchi, mit dem wir seit 1982 zusammenar-
beiten und von dem wir zuletzt 1988 eine grosse Zeich-
nungsausstellung veranstaltet haben, konnten wir durch
einen Glücksfall eine der seltenen und bedeutenden
Kohlezeichnungen von 1982 erwerben, die in unserer
Gruppe von 15 Zeichnungen und 10 Graphiken eine wich-
tige Schaffensperiode dieses Künstlers dokumentiert und
eine schöne Ergänzung zu unserer grossformatigen Zeich-
nung «Disegno tonto» aus dem gleichen Jahr darstellt. «Il
Respiro della Battaglia» («Der Atem der Schlacht», Abb. 86
im Katalog «La Disegna» von 1988) zeigt die dunkle Silhou-
ette eines Pferdes, dessen wellenförmiger Atem vor dem
Meereshorizont mit Kreuzen bestückt ist. Das Pferd ist
sowohl ein Lebens- als auch ein Todessymbol, solar und
lunar. Es gilt im Schamanismus auch als Psychopompos
(Seelengeleiter) für den Übergang von dieser Welt ins
Jenseits. Dass Cucchi dem Pferd vielfache Bedeutung
beimisst — sei es bewusst oder unbewusst —, geht aus zahl-
reichen Werken hervor. Das Thema unserer Zeichnung
nimmt er unter dem Titel «Respiro misterioso» in einer
grossformatigen Zeichnung von 1982 und in einem Ölbild