in stärkerer Aufsicht über den Tisch und damit illusioni-
stisch über die Bildebene hinaus dem Betrachter entgegen;
der hintere, nicht mehr fokusiert, erscheint unscharf durch
Raumdunst in eine nur durch ihn erschlossene Tiefe ent-
rückt, wo sich die Ebene schon dem Horizont entgegen-
wölbt. Diese und weitere binäre Oppositionen werden
überlagert durch die harmonische Dreiecksfügung der
durch ruhende Ovale bestimmten Objekte, des Glases und
der beiden Teller, die die vierte grosse Form, den unsta-
bilen Becher, in sich fassen. Die kleinen, komplizierten
Dinge erzeugen durch ihre kontrastierenden Formen wei-
tere Spannungen zu diesen vier einfachen, dominierenden
Rotationskörper; mit Nüssen und Uhrkette wird in der von
geheimen Gesetzen durchwalteten Ordnung auch der
Zufall integriert.
Haben wir bis hieher, in der Betonung des Einfachen,
dem Charakter der Dinge, der Kombinatorik ihrer Ord-
nung, der Thematisierung der Kunstmittel das modern
Anmutende des Gemäldes hervorgehoben, so führt uns der
letzte Gesichtspunkt zwar ins Zentrum des Werkes, zu-
gleich aber in die Geistigkeit des 17. Jahrhunderts zurück.
Denn das zentrale Kunstmittel ist hier offenbar das Licht.
Angesichts seines Charakters trifft die Rede von der
«Thematisierung der Kunstmittel» jedoch nur mehr ein
Äusserliches, während vielmehr davon zu sprechen wäre,
dass das Licht als der eigentliche Inhalt und die Gegen-
stände nur als seine Träger, als der Ort seiner Manifestation
im Irdischen erscheinen. Entsprechend wählt Claesz die
Materialien, die das Licht in der Vielfalt seiner Brechungen
und Reflexe zur Geltung bringen; dass die zinnernen Teller
kaum weniger hell schimmern als der silberne Becher,
macht deutlich, dass diese innere Lichthaltigkeit dem
Künstler wichtiger als der materielle Wert der Dinge war.
Dieses von links oben einströmende Licht — das weit geöff-
nete Glas hebt sich ihm fast aktiv empfangend entgegen —
erfüllt, sich kontinuierlich ausbreitend, das ganze Bild und
durchdringt es bis in die dunklen Schatten mit seinem
warmen Glanz. Wie bei Rembrandt oder Vermeer nehmen
wir es als tragende, gehaltvolle Stimmung wahr, welche die
kühle Nüchternheit der Tageshelle verändert, transzen-
diert auf ein Numinoses, das dem 17. Jahrhundert noch
eindeutig ein Göttliches war, Seiner Wirkungsmacht dient
auch die zurückhaltende Farbigkeit; sie tritt stets hinter
dem Hell-Dunkel-Wert zurück und wird ganz vom licht-
haften Silber und Gold bestimmt, aus denen auch die grün-
lichen und beigen Töne als Abschwächung und verbin-
denden Grund entwickelt sind. Der Impressionismus ver-
fährt genau umgekehrt: dort verschwindet das Licht im
Leuchten der reinen bunten Farben — die Welt wird von
Diesseitigkeit leuchten, doch wird es nur noch ein diessei-
tiges Leuchten sein.
Christian Klemm
Die kunsthistorische Einordnung in das Werk von Claesz um 1638 und die
ältere Literatur ist zusammengestellt in dem Katalog Die Gemälde der Stiftung
Betty und David M. Koetser. Zürich 1988, Nr. 12.