lung von Rüeggs vielseitigem zeichnerischen Können. Lite-
ratur und Ausstellungen haben sich mit seinen Zeich-
nungen nur am Rande beschäftigt°. Das Werkverzeichnis
des Sohnes Ernst Rüegg zählt allein schon 360 Zeich-
nungen und Aquarelle, davon 130 mit Landschafts-
motiven. Sie stammen grösstenteils aus dem ihm zugefal-
lenen Teil des Nachlasses. Die der Witwe überlassenen
Werke auf Papier (Familienbesitz Hinwil) blieben leider
unbearbeitet®,
An dieser Stelle können, begleitend zur Inventarisie-
rung, nur ein paar vorläufige Bemerkungen geäussert
werden. Gleich vorweg: die für Rüeggs Malerei kennzeich-
nende Trennung des offiziellen Teiles mit den typischen
Landschaftsmotiven aus den Kantonen Zürich und Schaff-
hausen von einem modernen, inoffiziellen, der nach dem
letzten Krieg öfter mit Werken des Surrealismus, des
Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit in Zusam-
menhang gebracht wurde”, lässt sıch auch bei den Zeich-
nungen feststellen, wenngleich der inoffizielle Charakter
der Zeichnungen und Aquarelle ein freieres Experimen-
tieren mit modernen Stilelementen begünstigte. Mit
Genuss verfolgt man hier die Verwandlung des Dichters in
den Maler. Die allegorischen Motive des Frühwerks werden
in den Zeichnungen der 1920er und 30er Jahre von einer
zunehmend farbig-expressiven Auffassung der Land-
schaftsmotive abgelöst. Der Schrecken, den der wilde
Mann den arbeitsamen Bauern im Feld einjagte, teilt sich
später unmittelbarer durch Farbkontraste mit. Wenn in
den allegorischen Bildern Figuren in bestimmte Rollen
schlüpfen mussten, um das Unheimliche, Namenlose,
Andere der Natur zu verkörpern, so versteht es Rüegg in
dem quadratisch zugeschnittenen Aquarell Vörfrühling bei
Stadel um 1939 (Abb. 7) meisterhaft, das leise Weben der
Natur über dem menschenleeren Bauerndorf in eine span-
nungsreiche, transparente Farbigkeit aufzulösen?. Die
Zweiteilung des Bildes ist hier nur angedeutet; die dumpfe
verriegelte Wohnstatt der Menschen und die aus dem Frost
erwachende Landschaft mit ihren kühlen Kontrasten, die
sich in einer so unprätenziösen Malerei vielleicht nur dem
vorüberziehenden, innerlich beteiligten Beobachter ent-
hüllt, und auch diesem nicht auf den ersten Blick.
Die Landschaftsaquarelle der dreissiger und frühen vier-
ziger Jahre zeigen Rüegg von seiner besten Seite. Ein
gewisser Expressionismus verbindet sich dort mit seinem
Hang zu kühler Farbigkeit. Selten hat er seine Position zwi-
schen Abstraktion und gegenständlicher Malerei so klar-
sichtig formuliert wie in den ersten Sätzen des Artikels Die
Landschaft im Kanton Zürich, wie sie ein Maler sieht von 1931.
«Das Zürchergebiet, als farbiger Fleck in die Karte der
Schweiz eingezeichnet, hat die ungefähre Form eines Qua-
drates. Ziehen wir die Diagonalen, so entstehen vier Felder,
vier Teile des Kantons, die in ihrer geographischen Struktur
ganz verschieden voneinander sind. Im Nordfelde liegen
das Weinland, das Rafzerfeld und das zürcherische Rhein-
ufer von Langwiesen bis Kaiserstuhl; das Ostfeld enthält
das Tösstal und die Berge des Oberlandes; das Südfeld ist
das eigentliche Seegebiet; das Westfeld umfasst Wehntal,
Limmattal und das Amt.»? In jedem dieser Felder erblickt
Rüegg das «Gesicht» einer charakteristischen Landschaft.
Die Vorliebe für das nördliche Feld mit den melancholi-
schen Hügelzügen, den in die Ferne gerückten Dörfern an
den Zuflüssen des Rheins schlägt sich in der grossartigen
Aquarellvision Thurmündung in den Rhein‘? von 1936 nieder.
Mit gelöstem Pinsel streicht der Maler die rötlichen Silber-
schleier bis über den Blattrand hinaus.
Landschaften zwischen farbigem Fleck und Quadrat?
Rüegg studierte an der Dresdener Akademie, als Cuno
Amiet seine neusten Bilder 1905 in der Galerie Richter aus-
stellte. Amiet wurde Mitglied der im gleichen Jahr gegrün-
deten «Brücke». Unter den Modernen Hodler, Amiet, Buri,
Augusto und Giovanni Giacometti, die in der Villa von
Richard Kissling am Zürichberg verkehrten, war Rüegg als
der schwärmerische «Eichendorff-Jüngling» bekannt. Sein
Verhältnis zur expressionistischen Farbe hat sich erst spät
und, ähnlich wie sein Hang zur surrealen Phantastik der
Kriegsjahre, mehr im Verborgenen entfaltet.
Deshalb erscheint es uns angebracht, das Aquarell
Das rote Bauernhaus“ von 1943/45 (Abb. 6) in die künstle-
risch produktiven Krisenjahre des Spätwerks zu datieren.
Gemälde wie Zweidlen von 1942, Scheue Tiere nähern sich dem
entvölkerten Dorfe von 1943/45, im übertragenen Sinn auch
Schweizers Bild von 1942 bringen die Einsamkeit und Fremd-
heit des alternden Malers im eigenen Land zum Ausdruck.
Im Mittelpunkt dieser Kompositionen steht das verlassene
Haus und die Wunschlandschaft der Jugendjahre. Das
Aquarell verstärkt diesen Eindruck noch, indem es auf