Volltext: Jahresbericht 1993 (1993)

symbolische Rollenträger wie Wanderer, Jäger und Untiere 
verzichtet. Die Konturen des Bauernhauses scheinen sich 
aufzulösen. Der schrille Kontrast von dunklem Rot und 
hellem Grün setzt die Idylle unter Hochspannung. Man 
muss Giovanni Giacometti recht geben: «Farbe und Linie 
sind unendlich vollkommenere und reichere Ausdrucks- 
mittel als das Wort, und was durch solche Mittel gesagt ist, 
kann niemals durch Worte wiederholt werden.»! 
Einzelne Farbstudien gewähren Einblick in Rüeggs 
Methodik als Zeichenlehrer, Da sticht die Farbstift- und 
Kreidestudie nach einem Gemälde von Heinrich Wüest 
hervor; gediegene, spätbarocke Tonwertmalerei, die locker 
in modulierende Warm-kalt-Kontraste umgesetzt wird!>, 
Auf einem Blatt mit Wasservögeln vermerkt der Künstler 
ausdrücklich: «Phantasiezeichnung nach einer Photogra- 
phie farbig ausgelegt.»14 Farbe verweist sogleich ins Reich 
der Phantasie. Ein gründlicher Aufbau des Zeichnungsstu- 
diums sollte nach Rüeggs Methode zuerst den streng 
linearen «Ornamentalen Stil» (lavierte Federzeichnung) 
einüben, dann zum «Malerischen Stil» (Tonwertzeich- 
nung) und zuletzt zur «Phantasiezeichnung» übergehen. 
Der ornamentale Stil überwiegt in den autobiographisch 
gefärbten erzählerischen Zeichnungsfolgen des Frühwerks; 
der malerische Stil wird in den zwanziger und dreissiger 
Jahren zum offiziellen Radierstil der Landschaften, der 
Bildnisse und der Tierstudien. Von einer solchen für 
Schule und Öffentlichkeit nützlichen Methodik unter- 
scheiden sich die Landschaftsaquarelle grundlegend. Sie 
sind in Sternstunden aus Rüeggs vielseitigem Wirken her- 
vorgegangen. 
Bernhard von Waldkirch 
Anmerkungen 
Zeugnis von der liebevollen, fast zwanghaften Beziehung zu den Tieren 
{...). Auch hier, wie bei der Landschaft, ist über das bloss registrierende 
Beobachten hinaus ein Mitleben, fast ein Verfallensein, und darin liegt 
wohl der letzte Echtheitsbeweis von Rüeggs Kunst.» 
Ernst Georg Rüegg. Leben und Schaffen. Herausgegeben von Dr. Ernst Rüegg. 
Zürich 1950, Euvre-Verzeichnis S. V-XXVII. 
' Ausst.kat. Schweizer Kunst der Gegenwart, Kunsthalle Baden-Baden 1953, 
Kat. Nr. 96-99. — Der Surrealismus und verwandte Strömungen in der Schweiz, 
Ausst.kat. 1961, Kat. Nr. 87-38. — Neue Sachlichkeit und Surrealismus 
in der Schweiz 1915-1940, Ausst.kat. Kunstmuseum Winterthur 1979, 
Kat. Nr. 201-206. 
Vörfrühling bei Stadel, ur 1939, Aquarell und Deckweiss über Bleistift auf 
Papier, 42x42 cm, bezeichnet auf der Rückseite mit Bleistift: Zürcher 
Bauerndorf, Z.Inv. 1989/55. Rüegg kennt seine Farbtonleiter bis in die 
kleinsten Intervalle, Er stattet seine Landschaftsskizzen oft mit Farbbe- 
zeichnungen aus. Im Atelier liest er dann diese Farbpartituren und kom- 
poniert das Bild. Als Beispiel die Bleistiftzeichnung Z.Inv. 1989/49, 
bezeichnet: Jestetten, 21. Mai. Die vollkommen mit der Landschafts- 
skizze korrespondierenden Bleistiftnotizen von unten nach oben und 
von links nach rechts gelesen: blaugrün, (?) rot, eigrün feurig, eigrün 
(für die untere Partie/Vordergrund); hell grün kobalt, eigrün hell, rosa 
Erdflecken, kobaltblau, hell cacao tief, blaugrüner Weg, trocken cacao 
aell, warmgrüne reife Wiesen, cacao gelb rot trocken, grau vio[lett] (für 
die mittlere Partie/Mittelgrund mit vereinzelten Baumstämmen, deren 
Kronen sich mit der oberen Partie verbinden); Asche rötlich, Asche grün, 
hell braun, frisch grün, frisch grün, grünliche Lichtpartien, violett rot, 
saftig ocker, violett rot, rost grün, gold grün, warm grün ocker (für die 
obere Partie/Hintergrund mit Hügelzug). 
? Ernst Georg Rüegg: Die Landschaft im Kanton Zürich, wie sie ein Maler 
sieht. In: Newe Zürcher Zeitung, Nr. 2163, 15.11.1931, Blatt 5. 
‘0 Thurmündung in den Rhein, 1936, Deckfarbe auf gelblichem Papier, 42 x 
55 cm , bezeichnet mit Bleistift: Thurmündung in den Rhein, 25. August 
36, Z.Inv. 1993/20. 
I Das rote Bauernhaus, (1943/45), Aquarell und Deckfarbe auf Büttenpapier, 
30,5/31x 50 cm, bezeichnet mit Bleistift: Rüegg, Z.Inv. 1989/52. 
'2 Aus einem Brief von Giovanni Giacometti an Cuno Amiet (12.1.1909), 
zit.in: du, Die Zeitschrift für Kunst und Kultur, Nr.6, 1987. 
\3 Farbstudie nach einem Gemälde von J, H. Wükest, rechts gepauste Figur, um 1920, 
Farbstift und farbige Ölkreiden, schwarze Kreide über Pause, 27x 
39,5 cm, Z.Inv. 1993/22. Nach dem Gemälde von Johann Heinrich 
Wüest (1741-1821), Landschaft, im Vordergrund der Künstler. Kunsthaus 
Zürich, Inv. 1024. 
Wasservögel. Phantasiezeichnung nach einer Photographie farbig ausgelegt, Aquarell 
über Bleistift auf Papier, bezeichnet mit Bleistift: Fantasiezeichnung/ 
nach einer Photographie/farbig ausgelegt, 41,8 x 59 cm, Z.Inv. 1993/23. 
> Ernst Georg Rüegg (wie Anm. 6), S. XXVIII, Methodik. 
. Ernst Rüegg: Ernst Georg Rüegg. Sein Werk, seine Familie und seine Zeit, Zürich 
1983, S. 53. 
’ Rainer Maria Rilke. Die Weise von Liebe und Tod, Texte und Dokumente, Bearbei- 
tet und herausgegeben von Walter Simon. Frankfurt a.M. 1974, S. 140. 
‘ Rilke an Gräfin Margot Sizzo (Muzot, 28.11.1921). Zitiert in: Rilke: Die 
Weise von Liebe und Tod (wie Anm. 2), S. 151. 
‘ Ernst Georg Rüegg, Ausst.kat. Helmhaus Zürich, Zürcher Kunstgesellschaft 
1984, Abb. 24. 
° Die umfassendste Präsentation der Zeichnungen in der Ausstellung Erns 
Georg Rüegg, Kunsthaus Zürich 1950 mit einem Vorwort von Rene Wehrli: 
«Diese Zeichnungen geben auch. vielleicht stärker noch als die Bilder,
	        
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