Volltext: Jahresbericht 1994 (1994)

GRAPHISCHE SAMMLUNG UND BIBLIOTHEK 
RÜCKBLICK AUF DIE LETZTEN 20 JAHRE 
«Erst da, wo den Zeichnungen grundsätzlich die gleiche 
Achtung entgegengebracht wird wie Gemälden, darf man 
wirkliches Verständnis für Kunst voraussetzen.» 
(H. Th. Musper) 
Als mir 1975 die Leitung der Graphischen Sammlung und 
der Bibliothek anvertraut wurde, bestand meine Aufgabe 
zunächst einmal darin, diese von Grund auf zu reorgani- 
sieren. Der Umzug in den lang erwarteten Neubau bot die 
willkommene Gelegenheit, das neue Konzept zu verwirk- 
lichen. 
Graphische Sammlung 
Die Graphische Sammlung, die heute rund 80 000 Werke 
umfasst, bildete den eigentlichen Kern des Museums, aus 
dem das heutige Kunsthaus hervorgegangen ist, des soge- 
nannten «Künstlergüetli», bestand dieses doch hauptsäch- 
lich aus einer Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulp- 
turen und den «Graphischen Kabinetten» von Gessner, 
Hess und Usteri, die bis zu den ersten Gemäldeschenkun- 
gen 1847 das Gesicht der Sammlung prägten. Es soll hier 
nicht auf die alten Bestände der Sammlung und ihre Ent- 
stehung seit 1787 eingegangen werden, ist dies doch an 
anderer Stelle geschehen, unter anderem in unserem 
Überblickskatalog «Meisterwerke aus der Graphischen 
Sammlung - Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Collagen 
aus fünf Jahrhunderten» von 1984. Der erste Direktor des 
Kunsthauses, Wilhelm Wartmann, hatte sich mit grossem 
Engagement für die Graphische Sammlung eingesetzt. Er 
hatte zum Beispiel Zeichnungen und Druckgraphik von 
Munch, Daumier und den deutschen Expressionisten 
erworben. Er hatte die bedeutende Gruppe der Cezanne- 
Aquarelle gekauft, womit das Kunsthaus die drittgrösste 
öffentliche Sammlung von Cezanne-Aquarellen besitzt, 
und er hatte die wichtige Rückkaufaktion von Füssli- 
Zeichnungen betrieben. Zahlreiche Ausstellungen mit 
Zeichnungen und Graphik fanden unter seiner Ägide 
statt, und (Euvre-Kataloge der Graphik von Dürer, Gess- 
ner und Welti stammen von seiner Hand. Nach 1945 
kümmerte man sich immer weniger um Zeichnungen und 
Graphiken. In dem grösser werdenden Kunsthausbetrieb 
gab es niemanden, der sich dieser Sammlung annahm, 
Man kaufte wenig und meist zufällig, so dass ganze Ge- 
5iete, wie der Abstrakte Expressionismus, der Tachismus 
und die Pop-Art fehlen. Nachdem die Graphische Samm- 
lung jahrzehntelang ein Schattendasein gefristet hatte, 
wurde ab 1976 ein Ankaufsetat geschaffen, mit dem es 
möglich wurde, eine gezielte Anschaffungspolitik zu 
betreiben und den Anschluss an das aktuelle Kunstge- 
schehen wiederzufinden. Regelmässige Ausstellungen im 
neu geschaffenen Graphischen Kabinett weckten die 
Sammlung zudem aus ihrem Dornröschenschlaf und 
brachten sie der Öffentlichkeit wieder ins Bewusstsein. 
Auf dem Gebiet der Zeichnung und der Graphik kann 
man es sich leisten, risikofreudiger zu sammeln als bei den 
Bildern. Die Erweiterung der Graphischen Sammlung 
geschah zum grossen Teil parallel, zu einem Teil auch in 
Ergänzung zur Gemälde- und Skulpturensammlung, ist 
doch die Zeichnung ein besonders geeignetes Medium, 
um einen Eindruck von Künstlern zu vermitteln, die ihre 
Arbeiten in grossen Rauminstallationen verwirklichen 
und deshalb nur in beschränktem Masse ım Museum 
Platz finden können. Die Vorstellung der Konzeptkünst- 
er, dass ein Kunstwerk bereits in der skizzierten Idee 
segründet sei und nicht mehr unbedingt ausgeführt zu 
werden brauche, erweiterte zudem die Funktion der 
Zeichnung. Auch haben sich durch die heutige Tendenz 
der Künstler, sich in verschiedenen Medien zu äussern, 
die traditionellen Grenzen zwischen Bild und Zeichnung 
stark verwischt. 
Sammlungsschwerpunkte 
Von Anfang an war klar, dass es mit dem vorhandenen 
Ankaufsbudget nicht möglich wäre, die in der Vergangen- 
heit entstandenen Lücken zu schliessen. Es war sinnvol- 
ler, sich auf die Kunst der Gegenwart zu konzentrieren 
und zukunftsorientiert zu sammeln. Wir setzten uns zum 
Ziel, einerseits in sich zusammenhängende und sich
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.