Volltext: Jahresbericht 1994 (1994)

treffen und mit ihnen die himmlischen Freuden geniessen 
werde. Nachdem sich die Idee besonders in der englischen 
Literatur zunehmend herausgebildet hatte, sprach sie 
merkwürdigerweise anscheinend als erster Albrecht von 
Haller in seiner «Trauerode, beim Absterben seiner gelieb- 
;en Mariane» (1736) ganz eindeutig aus. In Youngs 
«Nachtgedanken», in Richardsons nicht weniger populä- 
ten Briefromanen, in der zu einer eigenen Gattung aus- 
ufernden «Briefen von Verstorbenen an Lebende», beson- 
ders schlagfertig in Goethes «Werther» mit der klassischen 
Formulierung «Wir werden uns wiedersehen» bis hin zu 
Novalis todessüchtigen «Hymnen an die Nacht», überall 
findet sich nun der Gedanke! 
Der schwedische Naturforscher, Theosoph und Gei- 
sterseher Emanuel Swedenborg steigerte diese Vorstellun- 
gen zu einem kohärenten spiritistischen System: die Seele 
vesitzt einen Geistleib, um den der irdische Körper wie 
ein Gewand gehüllt ist; im Tod gleitet dieser so leicht wie 
ein Schatten ab, so dass die Person zunächst kaum 
bemerkt, dass sie gestorben ist - Tod und Auferstehung 
fallen zusammen!!, In dem so populären, in zahllosen 
Wiederholungen verbreiteten Grabmal der Frau Pfarrer 
Langhans in Hindelbank?, in Gemälden von Freudwei- 
ler, Graff!*, Fabre® u.a. sehen wir nun die Seele der Ver- 
blichenen in ihrem Geistleib, und öfters steht sie im Kon- 
takt mit dem hinterbliebenen Gatten, den sie noch 
umschwebt, erwartet und ihm den Weg zum Himmel vor- 
ausweist. Denn im Gegensatz zur kirchlichen Lehre bleibt 
für Swedenborg Geschlechtlichkeit und Ehe, die auf ech- 
ter Seelenverwandtschaft beruht, auch im Jenseits beste- 
aen und vervollkommnet sich hier ebenso wie andere 
Seelenkräfte. Der Himmel wird banalisiert; die alten 
gewaltigen und erschreckenden Jenseitsvorstellungen wei- 
chen einem «Land des ewigen Schäferstündchens» 
(Mason). Allerlei merkwürdige Auswüchse, wie etwa Lava- 
ters «Aussichten in die Ewigkeit» und sein leichtgläubiges 
Haschen nach Andeutungen aus dem Jenseits machen 
sich breit — bis hin zu spiritistischen S&ancen und dem 
Aufleben des Vampirglaubens, demzufolge Seelen ihre 
leben ins Jenseits nachziehen!®. 
Vor diesem Hintergrund ist nun auch die ausseror- 
dentliche Beliebtheit des Märchens oder Mythos von 
Amor und Psyche im späten 18. Jahrhundert zu sehen!’: 
denn hier findet sich genau dieser fliessend unbestimmte 
Übergang über die Grenze des Todes und das Weiterleben 
und die Vollendung der Gattenliebe in höheren Sphären. 
Dass Psyche als Eigenschaft zunächst vor allem Schönheit 
eignet, macht sie im Zeitalter der «schönen Seele» beson- 
ders attraktiv; ihre läuternden Prüfungen und ihre entsa- 
gungsvolle Hingabe entsprechen der Gefühlsverdichtung 
und Sublimierung der Empfindsamkeit, über deren inni- 
gere Ehebeziehungen noch ein Hauch geläuterter Roko- 
ko-Erotik schwebt. Die Rückkehr Psyches aus der Unter- 
welt und das Wiederfinden ihres Geliebten führt alle 
Motive und Gefühle zusammen; in ihren so zart schick- 
lich gezähmte Liebe und getröstete Melancholie emp- 
findsam verschwisternden Gestalten erfasste Angelika 
Kauffmann die in Deutschland und im protestantischen 
Norden dominierende Stimmung wohl am genauesten!8, 
Nicht von ungefähr wünschte sich Friedrich von Matthis- 
son, der Mode-Poet der Epoche, von ihr eine aus Lethe, 
dem Vergessen spendenden Jenseitsfluss, schöpfende Psy- 
che als Frontispiz für seine Gedichte, die etwa diejenigen 
Goethes an Popularität übertrafen und ganz überwiegend 
der geschilderten Thematik verpflichtet sind. Die Vignet- 
te bezieht sich auf die zentrale Stelle des Gedichtes Elysi- 
um: «Psyche trinkt, und nicht vergebens! / Plötzlich in der 
Fluten Grab / Sinkt das Nachtstück ihres Lebens / Wie ein 
Traumgesicht hinab.» - offensichtlich die poetisch euphe- 
mistische Umschreibung des Todes, der Befreiung der 
Seele von ihrem irdischen Körper. Da Matthisson das 
Frontispiz bestellte, kurz bevor Angelika Kauffmann das 
grosse Gemälde in Angriff nahm, bildete sein Gedicht 
möglicherweise überhaupt die entscheidende Anregung; 
ıedenfalls ist seine Gefühlshaltung in die Gestaltung ein- 
geflossen. Dass das Bild nicht an die Bestellerin, die jäh- 
zornige Fürstin Bariatinsky, gelangte, sondern von der 
schönen Seele und unglücklich verheirateten Louise von 
Anhalt-Dessau für ihr Schlösschen Elysium erworben 
wurde, als sie in Begleitung Matthissons Angelika in Rom 
besuchte, entspricht völlig der Logik der Dinge. Dass sich 
nach ihrem Tode ihr aus physischer Inkompatibilität pla- 
tonischer Gemahl Fürst Franz in ihr Elysium, wo er ihren 
«Geistleib» noch um sich schweben fühlen mochte, zu- 
rückzog, will uns der historischen Stimmigkeit fast zu viel 
erscheinen.
	        
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