Volltext: Jahresbericht 1995 (1995)

RENE MAGRITTE 
Mit der Schenkung Walter Haefner ist die Sammlung des 
Kunsthauses auch um vier Werke von Rene Magritte 
erweitert worden. Zusammen mit dem Bild La wie secrete, 
das die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde 1972 erwarb, 
verfügt unsere Sammlung nunmehr über eine repräsenta- 
tive Werkgruppe des belgischen Malers. Ideal ergänzt 
diese die Bestände von Werken von Salvador Dali und 
Max Ernst zu einem konzisen Überblick über die veristi- 
sche Linie surrealistischer Malerei. 
Rene Magritte wurde 1898 in der belgischen Ortschaft 
Lessines geboren. 1916-1918 studierte er an der Academie 
des Beaux-Arts in Brüssel. Auf spätimpressionistische 
Anfänge folgte in den Jahren 1918-1920 eine kubo-futuri- 
stische Phase, die zur totalen Abstraktion führte. Magrit- 
ie war mit seiner Malerei indes völlig erfolglos. So sah er 
sich gezwungen, seinen Lebensunterhalt mit gebrauchs- 
graphischen Aufträgen (Plakate, Werbematerialien, Tape- 
tenentwürfe) zu verdienen. Der Begegnung mit Giorgio 
de Chiricos Gemälde Chant d’Amour (1914) im Jahre 1924 
verdankte Magritte sein künstlerisches Cassiciacum: ein 
umwälzendes ästhetisches Offenbarungs- und Bekeh- 
rungserlebnis. Nicht mehr dem Wie der Peinture, das im 
Gefolge der c&zanneschen Nachbeben die meisten Maler 
mmer noch bewegte, sondern dem Was, der narrativen 
ınd assoziativen Potenz frei kombinierter Bildgehalte, 
widmete sich Magritte in der Folge. Rasch führte dieser 
Ansatz zu Kontakten mit surrealistischen Strömungen in 
Brüssel und wenig später mit den Pariser Surrealisten um 
Andre Breton. In den dreissiger und vierziger Jahren war 
Magritte an den wichtigen surrealistischen Ausstellungen 
stets beteiligt. Eine Retrospektive im Museum of Modern 
Art in New York im Jahr 1966, ein Jahr vor Magrittes Tod, 
bestätigte seinen Rang als einer der wichtigsten surreali- 
stischen Maler des 20. Jahrhunderts. 
Seiner «kombinatorischen Bildmethodik», um 1927 
voll ausgebildet, blieb Magritte, von kurzen impressioni- 
stischen (1943-1946) und karikaturistischen (1948) Phasen 
abgesehen, zeitlebens treu. Prinzip seiner visuellen Heu- 
Aistik ist die Juxtaposition disparater Bildelemente, die die 
Kausalität raumzeitlicher Zusammenhänge, die verbürg- 
ten Quantitäten, Qualitäten und Modalitäten alltäglichen 
Erlebens unterläuft. Veristisch aufgefasste Wirklichkeits- 
‘ragmente verwischen durch ihre irrationale Koinzidenz 
im Bildraum die Trennungen von Erlebtem und Erträum- 
tem, Realem und Fiktivem. Damit folgte Magritte den 
gemeinsurrealistischen Bemühungen um Aufhebung der 
Gegensätze zwischen Realität und Traum, Vernunft und 
Wahn, Wahrnehmung und Einbildung, Wirklichkeit und 
Möglichkeit. 
A la suite de l’eau, les nuages, 1926 
Was von der Bildgattung her traditionell ein Interieur zu 
nennen wäre, mithin ein statisches Ensemble, verflüssigt 
sich bei diesem frühen und wichtigen Werk Magrittes sur- 
realistisch. Die Beschreibung des Prozesses liefert der 
Bildtitel lakonisch nach: A la suite de l’cau les nuages 
venetrent dans la chambre. Eine Topfpflanze scheint gigan- 
tisch wuchernd eine Zimmerdecke durchbrochen zu 
haben, der Raum um sie herum hat sich mit Wasser ange- 
füllt; aus dessen spiegelnder Oberfläche ragt ein riesiges 
Blatt in ein geräumiges Zimmer mit weit offener Veran- 
dafront. Am stilisierten Vorhang vorbei schweben Wolken 
ins Zimmer; im Hintergrund ein gerahmter Spiegel und 
ein Brett mit einer fensterartigen Öffnung als Requisiten. 
Die Verquickung von Mineralischem und Organischem, 
das behauptete Zusammenwirken pflanzlichen Wachs- 
tums und eines meteorologischen Ablaufs schaffen ein 
düsteres Drama, in dessen Verlauf das gepflegt-moderni- 
stische Interieur, Inbegriff rationaler Kulturleistung, aus- 
gewischt zu werden droht. 
Le seize septembre, 1956 
Die Sichel eines zunehmenden Mondes in die Krone 
eines auf einer nächtlichen Wiese frei stehenden Baumes 
gelegt: Diese Bildidee hat Magritte in der zweiten Hälfte 
der fünfziger Jahre viermal als Öbild und zweimal als 
Gouache umgesetzt. Es ist bei Magritte nicht ungewöhn-
	        
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