RENE MAGRITTE
Mit der Schenkung Walter Haefner ist die Sammlung des
Kunsthauses auch um vier Werke von Rene Magritte
erweitert worden. Zusammen mit dem Bild La wie secrete,
das die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde 1972 erwarb,
verfügt unsere Sammlung nunmehr über eine repräsenta-
tive Werkgruppe des belgischen Malers. Ideal ergänzt
diese die Bestände von Werken von Salvador Dali und
Max Ernst zu einem konzisen Überblick über die veristi-
sche Linie surrealistischer Malerei.
Rene Magritte wurde 1898 in der belgischen Ortschaft
Lessines geboren. 1916-1918 studierte er an der Academie
des Beaux-Arts in Brüssel. Auf spätimpressionistische
Anfänge folgte in den Jahren 1918-1920 eine kubo-futuri-
stische Phase, die zur totalen Abstraktion führte. Magrit-
ie war mit seiner Malerei indes völlig erfolglos. So sah er
sich gezwungen, seinen Lebensunterhalt mit gebrauchs-
graphischen Aufträgen (Plakate, Werbematerialien, Tape-
tenentwürfe) zu verdienen. Der Begegnung mit Giorgio
de Chiricos Gemälde Chant d’Amour (1914) im Jahre 1924
verdankte Magritte sein künstlerisches Cassiciacum: ein
umwälzendes ästhetisches Offenbarungs- und Bekeh-
rungserlebnis. Nicht mehr dem Wie der Peinture, das im
Gefolge der c&zanneschen Nachbeben die meisten Maler
mmer noch bewegte, sondern dem Was, der narrativen
ınd assoziativen Potenz frei kombinierter Bildgehalte,
widmete sich Magritte in der Folge. Rasch führte dieser
Ansatz zu Kontakten mit surrealistischen Strömungen in
Brüssel und wenig später mit den Pariser Surrealisten um
Andre Breton. In den dreissiger und vierziger Jahren war
Magritte an den wichtigen surrealistischen Ausstellungen
stets beteiligt. Eine Retrospektive im Museum of Modern
Art in New York im Jahr 1966, ein Jahr vor Magrittes Tod,
bestätigte seinen Rang als einer der wichtigsten surreali-
stischen Maler des 20. Jahrhunderts.
Seiner «kombinatorischen Bildmethodik», um 1927
voll ausgebildet, blieb Magritte, von kurzen impressioni-
stischen (1943-1946) und karikaturistischen (1948) Phasen
abgesehen, zeitlebens treu. Prinzip seiner visuellen Heu-
Aistik ist die Juxtaposition disparater Bildelemente, die die
Kausalität raumzeitlicher Zusammenhänge, die verbürg-
ten Quantitäten, Qualitäten und Modalitäten alltäglichen
Erlebens unterläuft. Veristisch aufgefasste Wirklichkeits-
‘ragmente verwischen durch ihre irrationale Koinzidenz
im Bildraum die Trennungen von Erlebtem und Erträum-
tem, Realem und Fiktivem. Damit folgte Magritte den
gemeinsurrealistischen Bemühungen um Aufhebung der
Gegensätze zwischen Realität und Traum, Vernunft und
Wahn, Wahrnehmung und Einbildung, Wirklichkeit und
Möglichkeit.
A la suite de l’eau, les nuages, 1926
Was von der Bildgattung her traditionell ein Interieur zu
nennen wäre, mithin ein statisches Ensemble, verflüssigt
sich bei diesem frühen und wichtigen Werk Magrittes sur-
realistisch. Die Beschreibung des Prozesses liefert der
Bildtitel lakonisch nach: A la suite de l’cau les nuages
venetrent dans la chambre. Eine Topfpflanze scheint gigan-
tisch wuchernd eine Zimmerdecke durchbrochen zu
haben, der Raum um sie herum hat sich mit Wasser ange-
füllt; aus dessen spiegelnder Oberfläche ragt ein riesiges
Blatt in ein geräumiges Zimmer mit weit offener Veran-
dafront. Am stilisierten Vorhang vorbei schweben Wolken
ins Zimmer; im Hintergrund ein gerahmter Spiegel und
ein Brett mit einer fensterartigen Öffnung als Requisiten.
Die Verquickung von Mineralischem und Organischem,
das behauptete Zusammenwirken pflanzlichen Wachs-
tums und eines meteorologischen Ablaufs schaffen ein
düsteres Drama, in dessen Verlauf das gepflegt-moderni-
stische Interieur, Inbegriff rationaler Kulturleistung, aus-
gewischt zu werden droht.
Le seize septembre, 1956
Die Sichel eines zunehmenden Mondes in die Krone
eines auf einer nächtlichen Wiese frei stehenden Baumes
gelegt: Diese Bildidee hat Magritte in der zweiten Hälfte
der fünfziger Jahre viermal als Öbild und zweimal als
Gouache umgesetzt. Es ist bei Magritte nicht ungewöhn-