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STRINDBERG
Man muß die Worte nur in ihrer vollen Geltung nehmen, dann genügt es, von Strindberg
zu sagen, daß er ein besonderer Mensch war, der die Ehrlichkeit und die Kunst besaß, sich
so zu geben, wie er war. Drei überaus seltene Dinge sind das aber: eigenes Leben, Be*
kenntnis zur eigenen Person und Originalität der Gestaltung.
Überblicken wir sein Leben, seinen Werdegang, seine Stufen, so finden wir Unruhe, Fort
gehen, Unzufriedenheit, Qual, Sehnsucht. Aber es waren nicht bloß äußere Dinge, die
ihm verleideten,-von sich selber wollte er immer fortgehen, und so ist es kein Wunder,
daß er immer zu sich kam, immer mehr zu sich kam,- daß er zugleich Feuerwerk und
Feuerkern, daß sein Fortgehen sein Bleiben, der Aufruhr sein Wesen war.
Da er sich immer betrachtete, immer auf der Wanderschalt war, immer einen Strindberg
hinter sich und einen vor sich sah, mußte zweierlei für seine Lebensart bezeichnend wer
den: der Rationalismus als geistige Form und der Dualismus als geistiger Inhalt.
Form und Inhalt können in einem ringenden, zur Einheit ringenden Menschen nicht ge
trennt bleiben: seine Weltanschauung war sein Leben. Er kämpfte in sich den Streit zwischen
Denken und Trieb, zwischen Geist und Natur / und diesen nämlichen Widerstreit sah er
in der Welt.
Der männliche Geist und die weibliche Natur: das waren für ihn die beiden Urprinzipien.
Liebe, Geschlechtstrieb, Enthusiasmus, Jugend, Volk, alles, was in die Sphäre des Gefühls
fällt: das bedeutete ihm das Unreife, den Abfall, das Schmutzige, den Rest frühen, abergläubi
schen Meinens.Die Triebhaften, Schwärmerischen, Weiblichen verfolgen den Intellekt als ihren
Feind,- denn sie merken wohl in ihrem aus Respekt, Angst und Wut gemischten Gefühl,
daß der Geist der starke, gebietende Ordner der Natur ist. Sie aber lieben das Unordent
liche und bäumen sich dagegen auf, bloßes Rohmaterial zu sein.
Und doch ist die Natur nichts anderes als Stoff für den Geist. Alles scheinbar bloß Ma
terielle bezieht sich auf Geistwerden,-im sogenannt Unorganischen sind gestaltende Kräfte
am Werk,- Seele ist abgefallener, müd gewordener, zerfallener und darum in den Kot ge
fallener Geist, und so, wie es abwärts geht, geht es aufwärts: der Stoff will zur Form,
das Unorganische zum Kristall, der Trieb zum Geist empor.
Darum bezieht sich auch alles auf den Geist,-unsere kausale Naturerklärung ist eine geist
lose. Sie muß ergänzt und gedeutet werden durch die teleologische. Alles in der Natur wie
in der Geschichte wie im Einzelleben hat noch eine Bedeutung, einen besonderen Sinn,
eine Beziehung auf den Geist.
Das Kennzeichnende für Strindberg aber ist, daß er sich daraus keine bequeme Weltan
schauung, keine Beruhigung, kein Sofakissen, nichts für Herz und Gemüt und gewiß nichts
ölig Pastorales machte: da sein eigenes Wesen Geist der Unruhe und Bohren war, lebten
in ihm Ironie, Versuchung und Teufelei. All sein Denken war schließlich doch nur ein
Spielen mit Gedanken, ein Experimentieren mit Standpunkten, ein Erproben von Ansich
ten : »Experimentierend«, sagt er, stellte er sich »auf den Standpunkt eines Gläubigen«.
Nur daß sein Spielen fast nie etwas Spielerisches an sich hatte, fast immer wild, unheimlich,
zerstörend war und sich gern an den Grenzen der Verzweiflung und der Krankheit be
wegte. Denn es gibt ja für ihn keine reinliche Scheidung der zwei Urgewalten: sein Dualis
mus ist Pessimismus/ seine Qual ist, daß der Geist von der Sinnlichkeit umfangen ist, und
daß dem Gott der Teufel, dem Sinn der Welt der Unsinn und die Höllenplage zur Seite steht.