231
RAS PUTIN
Es ist höchste Zeit, gegen Dostojewsky aufzutreten. Gegen den Dostojewsky,
der den Deutschen im Hirn spukt. Die Aufzeigung psychischer Verankerungen
und deren Gegeneinanderspiel in der einzelnen Physis hinkt der Intuition des
Lesers nach, sofern es darauf ankäme, einen solchen zu beunruhigen. Der Deut
sche wird das Verbindende dieser Menschen nicht als naive gegebene Selbstver
ständlichkeit erleben, den Rogoschin oder Mitja oder die windige Sentimentalität
Stawrogins, statt sich an Pjotr Stepanowitsch zu giften, stirnrunzelnd—autoritäts^
gläubig. Dostojewsky war kein europäischer Dichter, sonst hätte er sich nicht für
Deutschland mit Fürst Myschkin kompromittiert. Dem glaubt nur Europa, wäh
rend der Russe ungestört Tee trinkt. Obwohl es sehr wenige Russen gibt — auch
in der Lüneburger Heide. <Ein Landstrich, fast eine Steppe.)
Dafür ist unlängst Rasputin ermordet worden. Nächst dem Zaren, dem Mos
kauer Kaufmann, dem Landstreicher, dem Polizeimeister, einigen Bauern und
Protopopow ein Russe. Er wäre ein Terrorist geworden, wenn die Rechtgläubigen,
die ihm dienen durften, nicht weich wie Butter gewesen wären.
Auch sonst: In Rußland stottert die Revolution, Rasputin schrie.
Sein Verhängnis war, daß er immer sich selbst fressen mußte. Die Politiker haben
ihn umgebracht, die Arbeiter, die Bürger und die Fürsten. Über Europa zu herr
schen, war zuviel Menschenadel in ihm. Er besaß zentrale Ironie genug, dies den
gefürsteten Frauen zu überlassen, in deren Similiorgien er flügellahm verzweifelte.
Erbitternd, daß so die Kraft schwand, die Schwarzen Hundert nach Westen zu
forcieren.
Die Europäisierung fraß sich tief genug ein, er vermittelte und glaubte selbst den
Leuten. Selbst wenn es nur diese Leute auch glaubten, triumphierte die Gerecht
tigkeit. Und gerade dafür bewegten sich seine Knochen, derartiges fragwürdiger
zu machen. Somit nähert er sich den Berliner Dostojewsky-Assoziationen, ohne
daß es was aufwiegt, wenn er einen Abgang gefunden hat. Wird etwas besser,
wenn seine Hunde gegen ihn kläffen —
Man sagt, er hätte sich für einen Frieden mit Deutschland eingesetzt. Das hätte
er nicht tun dürfen. Minister stürzen ist schon was anderes. Aber — so gefügige
Leute, gerade ihm, dem man glaubt. Warum nicht eine Straße mit vier Genossen
feststampfen, im Kreise herum, im Takt, an der Wolga Bauholz laden.
Rasputin war ein ganz großer Mann. Auf seinen Photographien trägt er einen
schwarzen Bart, seine Hände sehen aus, als wollte er segnen, daß er vor Wut das
Würgen verlernt hat, so eigensinnig! Er mag oft geweint haben. Ich möchte nicht