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und so war auch diese fromme nur ein Ersatz für jenen, der es
nicht mehr sagen konnte, und für die Apostel, deren Wort zu
schwach war. Doch während die griechische im Anfang auf ein
Nacherleben traf, blieb vor dieser neuen der Zuhörer, der es
nicht hätte sein dürfen, wäre es anders gewesen, zutiefst unbe
rührt. Jene wurde zur Komödie; diese war es von Anfang an.
Was ihr bis in diese Tage hinauf folgte, musste Komödie
bleiben und war es auch dann, wenn es so hiess. Es ist einer
der seltsamsten Mängel, dass Männer, denen ihr Werk die Welt
bedeutete, die Bretter diese Welt bedeuten lassen konnten ; dass
ihnen das Drama, das ihr Schicksal war, nicht Grauen erregte,
wenn es gespielt wurde. Der griechische Akteur, der auf dem
Kothurn einherstelzte, eine Gesichtsmaske trug und durch einen
kleinen Trichter sprach, war ein sprechendes Buch und der Chor
ein Teil der Zuhörer, die ohne diese laute eigene Stimme nur
Zuschauer geblieben wären. Der Schauspieler von heute, den
schon sein Name verrät, gibt vor, auf der Bühne zu erleben, was
er niemals so zu erleben vermag, wie er es erleben müsste, um
nicht bloss Spieler zu sein. Ihn rechtfertigen zu können, müsste
der Dichter sein Drama auf der Bühne vorerleben können. Aber
auch er könnte da sein eigenes Erleben nur spielen und es ist
rudimentäre Einsicht, dass er es so selten tut, und fast stets ein
Beweis gegen sein Drama, wenn er es tut. Denn als er sein erstes
Gedicht dem Freunde vorlas, errötete er und sprach es vielleicht
gar nicht zu Ende, so verlogen däuchte er sich. Hier hatte das
junge Bewusstsein die Einmaligkeit allen Erlebens erlebt, seine
Undurchdringbarkeit, die jede Vollkommenheit verhindert, und
jenes Wort, welches darum das Zweimalsagen verdammt. Und
es bedurfte der ganzen Kraft des Erlebens, das hinterher in seine
grösste Bewusstheit will, um nicht die Gestaltung an ihrer un
vermeidbaren Unvollkommenheit scheitern zu lassen. Nur weil
das Erleben und seine Gestaltung im Tiefsten eins sind, jenes
halb ohne diese, diese die Vollendung jenes, ist diese überhaupt
möglich und moralisch. Aber mit ihr ist das Erleben zu Ende
und nurmehr für andere, die seine Gestaltung als die Vollendung
ihres eigenen Erlebens, welche ihnen anders niemals zuteil ge
worden wäre, zu erleben vermögen, kann es, wenngleich selbst
unvollkommen, den Wert der grösseren Vollkommenheit haben.
Sein Träger Hess es in neuem Erleben hinter sich und der
Widerstand, der vor der alten Gestaltung nie ganz schwindet,
beweist nichts gegen diese, aber alles für ihren Schöpfer, der
nicht mehr wahrhaft sich zurückzuerleben vermag und in seinen
Memoiren dort, wo sie am menschlichsten sind, das Wenigste
vollendet. Darum kann er sein Drama nur spielen, und dass er
nachher von anderen es spielen lassen kann, bleibt seltsam.
Denn er müsste nun doch wissen, dass jener Wert, der das Er