Otto Flake
Thesen
Keine Kirchentür ist nötig wie jenem Mönch, und man kann sich kürzer fassen.
Die Kunst stirbt, wie die Religion gestorben ist.
Was aus dem menschlichen Hirn kommt, ist sterblich. Es ist Sentimentalität, wenn es
nicht Verzweiflungstat Ist, von dieser Sterblichkeit die Kunst auszunehmen.
Die Kunst stirbt, nicht weil wir schwächer oder auch rationalistischer würden; sie stirbt,
weil wir auf eine höhere Stufe der Geistigkeit treten, wo uns dieses Hilfsmittel nicht mehr
genügt.
Es handelt sich nicht um Aufklärung, sondern um Erkenntnis.
Die Kunst war ein Hilfsmittel wie die Religion, um auf anschaulichem Weg Vitalität
sichtbar zu machen — Projektion des Dunkels in die Helle. Auf einer höheren Stufe des
religiösen Gefühls gibt es nicht mehr Götter, Heilige, Dogmen, Kirche; auf einer höheren
Stufe des Künstlerischen gibt es nicht mehr Landschaft, Leiber, Limen, Schilderung,
Themen, dramatische Stoffe.
Die Voraussetzung der Kunst wie die der Religion ist der Dualismus: das Geschöpf und
die Sehnsucht einerseits, das All und die Erfüllung andrerseits. Fühlt sich das Geschöpf
nicht mehr von Gott getrennt, nennt es Gott nur die Summe aller Existenzen, verlegt es die
Metaphysik nicht mehr in ein Jenseits, sondern in sein Hirn, so ist der monistische Zu
stand erreicht.
Gott ist eine Anschauungsform wie Zeit und Raum, die Anschauungsform der Kausali
tät. Gott ist der auf das Denken übertragene Gedanke der Sexualität, wonach der Sohn
einen Vater, das Ding eine Ursache hat. Kunst ist eine Anschauungsform, beruhend auf
der Kausalität; ihr Thema ist die auseinandergezogene Welt, die noch nicht zum Kreis
gezogene Lime mit Rückwärts und Vorwärts.
Die höhere Stufe unserer Geistigkeit heißt der Kreis. Anschaulichkeit wird Anschauung.
Es ist zugleich die Überwindung der ausgebreiteten Linie, die wir menschliche Geschichte,
Generationenfolge nennen. Solange wir uns auf dieser Lime bewegen, springt jede Gene
ration mit naiver Energie in die Arena, und das ungeheure Wissen, das das Hirn des
sterbenden Goethe besaß, ist für die Jungen verloren, das Suchen beginnt von neuem.
Dieses Suchen beginnt zu langweilen. Es manifestieren sich Hirne, die aus der Arbeit
der früheren Generationen wachsende Energie ziehen. Das menschliche Hirn, erst ein
Hilfsorgan mit dumpfen Vorahnungen, wird selbständiges Vollorgan mit herrischem