sehen Judenstaat verwandeln wolle 1 ? Mit Hilfe einer
ungewohnten und zweifellos sehr angestrengten intel
lektuellen Tätigkeit hatte das Junkertum endlich ein
schlagendes Argument gegen die neuen Ideen gefunden:
Preußen sollte verjudet werden! Stein und Hardenberg,
Gneisenau und Scharnhorst waren offenbar Juden und
Judengenossen. Die große Entdeckung 'des modernen
Antisemitismus war gemacht worden! Und zwar zu
einer Zeit, als die staatsbürgerliche Gleichberechtigung
der Juden in Preußen noch gar nicht proklamiert war.
Aber die Junker fühlten das Judenemanzipationsedikt
von 1812 kommen und bauten vor. Seit undenklichen
Zeiten hatten alle Staaten und Staatseinrichtungen
einen christlichen Charakter getragen. Und jetzt sollte
auf einmal 1 ? Wo immer man seither in Preußen-
Deutschland die Junkerfrage aufgeworfen und Refor
men verlangt hat, da haben die Herren sofort den
Gegentrumpf der Judenfrage ausgespielt und immer
— wie das in einem Christenstaat erster Ordnung nicht
anders denkbar ist — mit Erfolg.
So entstand in Preußen-Deutschland jener moderne
Antisemitismus, der in Zeiten der Reaktion stets vor
zügliche Dienste geleistet, nach 1815, 1848, 1871 und 1890
so tolle Blüten getrieben und bis auf den heutigen Tag
offizielle Unterstützung im Vaterland der Religions
freiheit genossen hat. Die Reichstagsdebatten im Ok
tober 1916 halben der erstaunten Welt bewiesen, daß
Juden (unld aus demselben Prinzip heraus auch Dissi
denten) in einer Armee, die heute die Verbündete des
Islams ist, noch immer nicht Offiziere werden können.
Die junkerliche Fronde war die Ursache für die end
gültige Entlassung des gehaßten Freiherrn von Stein.
Mit der Entlassung Steins hatten die Junker zunächst
das Uebergreifen der Steinschen Reformpläne in ihren
eigentlichen Bereich, das Landleben, verhindert. Stein
war gegangen, aber Hardenberg hatte sich halten
können; er versuchte, das Steinsche Reformwerk ener
gisch weiterzuführen. Im Jahre der tiefsten Erniedri
gung Preußens (1812) schuf er eine vorläufige Verwal
tungsgesetzgebung für das flache Land und nahm
darin die wesentlichsten Züge des französischen Prä-