Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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Trommler vorzieht. Wenn also in solchem Lande ein 
Sproß mosaischen Blntes einen „Aufruf zur Freiheit“ 
schreibt unld in solchem Buche mit keinem Wort die 
jüdische Frage erwähnt, gleichzeitig’ aber seine Feder 
von „Verantwortung“ triefen läßt — hat man dann 
nicht das Recht, ihm jenes primitivste Verantwor 
tungsgefühl, nämlich seiner unterdrückten Rasse gegen 
über, abzusprechen'? Ist seine ganze moralische Phra 
seologie (Seele, Glaube, Transzendenz, Gott, Erlösung 
usw.) mehr als ein Quark? Wird sein Werk mehr 
sein als die hassende, hoffende, fürchtende Elaboration 
eines ehrgeizigen Gehirns, das auf den Botschafter 
posten in London spekuliert und darüber zum Rene 
gaten wird an seinen deportierten polnischen Brüdern? 
In der Tat weiß Herr Rathenau zur Lösung der Juden 
frage im Deutschen Reiche nicht mehr zu sagen, als 
daß er in bündiger Korrespondenz mit einem Herrn 
von Trützschler-Falkenstein, die er als Broschüre 
„Streitschrift vom Glauben“ betitelt, die Israeliten mit 
der „intelligiblen Freiheit“ vertröstet, statt ihnen zur 
politischen zu verhelfen. Oh diese intelligible Freiheit,, 
die keinen Groschen wert ist, wenn gleichzeitig dabei 
geprügelt wird! Und doch war sie die Ausrede aller 
deutschen Reformatoren, 'von Luther über Kant und 
Marx bis zu Herrn Rathenau. In einer Zeit, in der 
die Judenfrage unter dem Zeichen des Zionismus und 
des befreiten Jerusalem einer endlichen Lösung ent 
gegensieht, katzbuckelt ein Jude hier vor der preußi 
schen Feudalität! 
Das Ziel. 
Rathenaus Ziel, wenn er seine intelligible Freiheit 
befragt, ist der Botschafterposten in London. In seinem 
Buch „Von kommenden Dingen“ aber ist das Ziel ein 
mal die „menschliche Freiheit“, ein andermal „der 
materiell unbeschränkte Staat“. Das ist also für ihn 
ein und dasselbe. Freiheit definiert er als „Ueberwin- 
dung aller mechanisierten Materialität nach deren 
Durchdringung mit Geist, Seele, Glaube und Verant 
wortung“. (Verantwortung der Freiheit gegenüber? 
Nein, gegenüber dem Staat). Der materiell unbe
	        
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