184
Sagan nämlich, der inzwischen längst zu seinen Vä
tern versammelt ward — band er das kecke Märchen
anf, daß jedes neugebaute Kriegsschiff ein neues Ge
wicht in der Wage des Freihandels sei. Den National-
liberalen versprach er ein großes Kolonialreich, den
Konservativen sagte er zu, bei passender Gelegenheit
den Engländern und den Yankees eins auszuwischen,
und selbst für die Sozis von der zahmeren Sorte hatte
er ein paar Präsente auf Lager: ein bißchen harmlose
Sozialpolitik (ja nicht zu weitgehend, denn das hätte
wieder anderswo angestoßen!) und eine nicht üble
bodenreformerische Landordnung für Tsingtau.
Hätte er nicht seinen Marinerock getragen: man
hätte den Mann mit dem langen Barte (wie ihn in die
sen Dimensionen nur noch etwa Arthur Stadthagen
besitzt) für den erfolgreichen Handlungsreisenden
eines großen Hauses halten können.
Und in der Tat: er hat etwas vom Hanldlungsr eis en
den an sich und er hat reüssiert in seinem Fache, das
schließlich, trotz hohen Aemtern und Würden und
Orden und dem prunkenden Titel eines Großadmirals,
mit dem eines Reklamechefs ziemlich viel Aehnlichkeit
hatte.
Tirpitz „machte“ in Flottenvermehrung. Für diese
— in immer vergrößertem Maßstabe — Parlament und
Publikum zu kirren, war er von seinem Dienstherrn
berufen worden. Ein gewisser Instinkt warnte bis
Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
das deutsche Volk, sich dem Wassermilitaris'mus allzu
schrankenlos hinzugeben. Zwar wurde schon immer
bei passenden und unpassenden Gelegenheiten dekla
miert:
„Michel, horch’, der Seewind pfeift!“,
aber von den großen Parteien waren eigentlich nur
die Nationalliberalen wirklich flottenbegeistert. Die
Sozialdemokraten, antimilitaristisch aus Prinzip, hatten
natürlich ebenso wenig Lust, dem Wassermoloch, zu
opfern, wie dem Landmoloch. Bei den Fortschrittlern
war noch die gute alte antimilitaristische Tradition
der Konfliktszeit lebendig, und außerdem lebte noch
der grimme Recke von Hagen, Eugen Richter, und sah