191
er Shakespeare zitierte. In seiner Wahl„rechts“-Rede
sprach Bethmann-Holl weg ein Langes und Breites von
den „Abhängigkeiten“, die er mit frommem Augen
aufschlag als „gottgewollt“ bezeichnete.
So war der Bethmann der inneren Politik in den
Jahren vor dem Kriege. Wie stand’s mit der aus
wärtigen Politik unter seinem Regime 1 ?
Da ist zunächst zu sagen, daß Bethmann gänzlich
unbescholten und mit einer durch keinerlei Sachkennt
nis getrübten Unbefangenheit die böse Erbschaft
übernahm, die ihm der fahrige Hans Dampf in allen
Gassen, Bernhard Biilow, hinterlaissen hatte. Was
Bethmann-Hollweg aus Eigenem mitbrachte, war ' ein
Erbstück vom Onkel her, Reminiszenzen aus der Zeit
des Krimkrieges (Wochenblattpartei, worüber in Bis
marcks Erinnerungen nachzulesen) und Main-Frank
furter Neigung zur westlichen Orientierung. Also:
germanische Kultur gegen slawische Barbarei, Deutsch
land als europäische Vormauer gegen den „Zarismus“,
„Erlösung“ der (notabene im zarischen Rußland herr
schenden oder mindestens mitherrschenden) „baltischen
Brüder“, Drang nach Südosten, Solidarität auf Gedeih
und Verderb mit Oesterreich-Ungarn, Erhaltung der
(bekanntlich so hoch kulturwertigen!) Türkei, Bagdäd-
bahn. Also: Außenpolitik im Rohrbach-Naumannschen
Sinne. Also: Verständigung mit England, voraus
gesetzt, daß England Rußland preisgibt und Frank
reich zur Preisgabe Rußlands bestimmt.
Ein Programm, das zum Kriege führen mußte,
wenn nicht die Slawenwelt Bethmann den Gefallen
tat, an sich selbst Harakiri zu vollziehen. Außerdem
auf geh aut auf der Voraussetzung' einer ungeheuer
lichen Naivität Englands, dem zugemutet wurde, sich
den eigenen Henker großzuziehen.
Selbst ein Bismarck hätte (dieses Programm nicht
durchführen können, das freilich ein Bismarck sich
niemals vorgenommen hätte. Bethmann aber traute
es sich zu, er, der nicht einmal die Tirpitze abzuschüt
teln vermochte und so die einzige — in der Theorie
wenigstens — solide Grundlage seines phantastischen
Gebäudes, die Verständigung mit England, zerstörte.