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Man hat die Jugend nm ihre Juigenld betrogen.
Man hat ihre Seelen vergiftet, mit Yölkierhaß nnd
Blutramsch. Man hat einen ungeistigen National
dünkel in ihnen großgezogen. Man hat ihr klares
Denken verfälscht uüd ihr Gewissen verwirrt. All
das ist mit geringerem oder größerem Erfolg ange-
strebt und versucht worden. Auf Jahrzehnte hinaus
ist das Jugenidiahd verwüstet. Unld wo die Jugend
aus tiefster Geistes- und Gewissensnot protestierend
ihre Stimme erhebt, fehlt ihr die jugendlich-unbefan
gene Freimütigkeit: ihre gerechten Forderungen
klingen schrill unld spitz — zu lange hatte man sie
aus Eigennutz, Dummheit, Blutgier und geistiger
Trägheit mit „vaterländischem“ Hurragebrüll über
schrien. Die Herangewachsenen werden zu blutigem
Brei zerstampft öder führen, zerfetzt und entstellt,
nur ein halbes Dasein, older müssen, wenn sie körper
lich unversehrt heimkehren, mit zerrissenen Seelen,
ihr langes Leben hindurch, Bilder tierischen Grauens
und blutigen Wahnsinns im Auge, ihr Tagwerk ver
richten. Und die Heimgebliebenen siechen an geisti
ger Erschlaffung unld körperlicher Entkräftung da
hin. Nicht plötzlich. Nicht mit einem Ruck. Sondern
allmählich. Mit den Jahren.
Was will man also noch? Es ist ja eigentlich schon
erreicht, was man gewollt hatte. Man ist — bewußt
oder unbewußt — darauf ausgegangen, den feurigen
und mutigen Willen einer Jugend, die eine grundsätz
liche Aenderung unld Umgestaltung der gesellschaft
lichen Ordnung anizustrelben drohte, umzustimmen
oder zu brechen. Dieser Krieg ist von der alten Ge
neration gegen den Ansturm der europäischen Jugend
in Szene gesetzt worden. Man hat die gefährliche
Macht der Jugend mit ihrer unbequemen Unbedingt
heit verunreinigen und ihre Taten- und Abenteuer
lust auf die alten „bewährten“ Wege ableiten wollen.
Das ist vollbracht. Man hat die reine Begeisterung
der Einen mißbraucht unld pervertiert. Und hat die
Anldern, die sich nicht vergewaltigen ließen, so gut
wie vollständig mundtot gemacht, so weit es ihnen
nicht gelungen ist, neutralen Boden zu erreichen.