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In dien krieg-führenden Ländern ist die Stimme
der neuen Jugend verstummt. Nur die Stimme der
zum Chauvinismus Verführten ist vernehmbar. Man
hat die Erneuerung- und Verjüngung- Europas aus
dem Geiste der Jugend, vorläufig wenigstens, glück
lich verhindert. Was will man noch? Soll diese Ju
gend jetzt auch noch verhungern? Will man diejeni
gen, die es vor Hunger nicht mehr aiushielten und die
ihn aus bitterster Not auf „unerlaubte“ Weise stillten,
öffentlich diffamieren, um sich ihrer ein für alle Male
zu entledigen? Will man schon die Kinder schänden,
damit ein gehorsames Knechtsgeschlecht erwachse
und nicht eine freie und starke Jugend? Denn es wa
ren sicher die Mutigsten und Selbständigsten unter
den Schulkindern, die sich zu derartigen, in normalen
Zeiten unstatthaften Handlungen hinreißen ließen.
Man weiß, was es heißt, wenn verfügt Wird, daß die
„Strafmittel der Schule mit aller Strenge in Anwen
dung gebracht werden sollen“: man wird die Hun
gernden so lange prügeln, bis ihnen der Hunger ver
geht.
Ist man am Ende seines Sieges über die Jugend
doch nicht so ganz sicher und fürchtet man sich so
sehr vor ihr, daß inan auch den letzten Funkien eines
Willens zur Selbsthilfe in ihr zu zertreten bereit ist?
Augenscheinlich ist dem so, denn sonst wären die
oben zitierten Verfügungen und Gerichtsurteile un
denkbar. Sie zeugen von einer so sinnlosen Ent
menschlichung und sittlichen Verrohung der Ver
fügenden und Verurteilenden, daß man sie sich nicht
erklären kann, wenn man nicht annimmt, daß ganz
bestiminte politisch-reaktionäre Unterdrückungsz wecke
mit ihnen verfolgt werden.
Man fürchtet sich also. Und fürchtet sich mit
Recht. Aus den Gebeinen der vernichteten, hin-
gemoiideten, geschändeten Jugend werden Rächer er
stehen. Die heute noch Kinder sind, werden die
Sprache der Toten vernehmen. Man hat die Liebe der
Jugend nicht gewollt. So wird man mit ihrem Haß
zu rechnen haben. Nicht nur in Deutschland. In allen
kriegführenden Ländern. Diese Jugend wird sich nicht