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Welt von vornherein anders, komplizierter, problematischer, indivi
dueller darzustellen als sie sie seit Generationen wahrzunehmen ge
wohnt sind. Die Schund- und Konjunktur-Schreiber verfügen, ge
rade weil es ihnen meist auf nichts anderes ankommt als gekauft zu
werden, über eine erstaunliche psychologische Anpassungs- und
Einfühlungsfähigkeit und vor allem über die sehr bejahenswerte
Kraft, ihre Privatperson und ihre subjektiven Weltprobleme aus dem
Spiel zu lassen. Das ist reinste Fabrikarbeit, vielleicht darum
gegenwärtig die einzige Kunst für Massen. Dennoch ist
diese Produktion unproletarisch, ja auch aus
gesprochen proletarierfeindlich. Sie verklärt die
Welt des Glanzes und des Reichtums, sie spricht zum Leser als Ein
zelnen statt als Glied seiner Klasse. Mit all den Schilderungen aus
dem Leben der Grafen und Millionäre, der Abenteurer, Kokotten,
durchgebrannten Bürgertöchter, der Verbrecher, Reisenden und Er
finder, kurz der machtlüsternen, exzentrischen, sozial entwurzelten
Typen, die leben ohne zu produzieren — und daher Zeit zum
„interessanten Leben“ haben — mit diesen Schilderungen wird der
Leser abgelenkt von seiner Welt, werden seine Lebensenergien der
Wirklichkeit entzogen und an fadenscheinige Illusionen vergeudet.
Häufig spielt zwar irgendein armer Teufel mit oder ein bildschönes
Mädchen (natürlich ohne Geld und Wohnung), aber immer und
ausschließlich als Sologeschöpf gegenüber der begehrten Sphäre
der Ausbeuter, in der man dann auf irgendeine romantische Art
Eingang findet, oder aber daran zugrunde geht. Das ist
dann Tragik — ein unerschöpfliches Thema für sentimentale Dar
stellungen. Es gibt da natürlich tausend Variationen, allen ge
meinsam ist jedoch die Tendenz: zu spekulieren auf die Armut der
Leser an Geld, Zeit und Macht.
Diese inoffizielle Volkskunst lebt vom Bedürfnis der Arbeiten
den nach des Lebens Buntheit und Mannigfaltigkeit. Solange dies
Bedürfnis real unbefriedigt bleibt, wird diese „Schundliteratur“
unausrottbar sein, solange wird es auch jene sozial haltlosen
Schichten geben, die, aus dem Proletariat kommend, von der Arbeit
der „Dummen“ leben durch kleine Schiebungen, Diebstahl, Spiel,
Wetten, Spekulationen, Vermittlungen u. s. f. Für diese Schichten
ebenso wie für die „kleinen Mädchen“, die nach Ladenschluß das
Glück suchen gehen, ist die genannte Kunst die tatsächliche ideo
logische Basis.
Ein unscheinbareres, doch sehr beachtenswertes Dasein, führt
jene Literatur (und die ihr entsprechenden Kunstprodukte), die kein
Wässerchen trübt, die in den Sonntagszeitungen, in Krankenhäusern,
in den sozialen Fürsorgeorganisationen, in den pietistisch-frommen
Familien aller Klassen, vor allem in der Provinz und auf dem Lande