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Das Wort und das Bild.
Eine Aufgabe, vor der jeder andere einen Schauder empfindet
und an die keiner heranvvill, ja die keiner für möglich, keiner
auch nur für notwendig hält, das könnte sehr wohl eine Aufgabe
für mich sein.
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17. X. Besuch bei der „Madonna del Sasso“. Die hohe Frau scheint
nicht zuhause zu sein. Ihre Wirkung über die ganze Gegend hin.
Sie kann in jedem Moment jedem erscheinen. Es ist zwar schon
etwas lange her, seit sie dem Fra Bartolomeo erschienen ist,
es war wohl im Jahre 1480. Was aber besagt die Zeit bei solch
himmlischen Herrschaften. Ihr Spielzeug unten in der kleinen
Kapelle: das Schaf mit der langen Nase; das apokalyptische
Kamel aus Stuck, mit den künstlich verdrehten Augen. Die Votiv
bilder oben in ihrer Kirche: sterbende Kinder in unmöglichen
Betten, umgestürzte romantische Postkutschen, Nattern auf
Treppenhäusern. Pest- und Wassergefahr erregten mir ein wenig
Übelkeit, aber das muß wohl so sein. Viele silberne Herzen gibt
es in ihrem Haus. Ein schönes, süßes Bild von Giorgione, voller
Wohlklang und Harmonie. Hinter einem blauen Sternenvorhang
beteten die Mönche eine rapide Litanei. Auch die Ballettszene
der Begegnung Mariens mit ihrer Base berührte mich nah. Aber
die ganze himmlische Burg schien mir doch sehr verlassen. Die
Patres, ihre Lakaien, rochen voller Muße an schönen Blumen
auf Galerien. Die alten Kastanienbäume in der Schlucht waren
wie ein verlassener Park, wenn die Herrschaft einen anderen
Aufenthalt genommen hat. Die Residenz stand leer. Man muß
wohl kommen, wenn die vielen Pilger kommen, wenn Jour und
Audienztag ist.