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Basel,
2. XI.
In Basel war ich einmal als Student. Da man als Student
nie weiß, wie man’s anfangen soll, ließ ich mir Bilder von Hol
bein und Böcklin zeigen, kletterte in den Spanten der Münster
türme herum und bewunderte die leeren drei Bänklein, vor denen
der junge Professor Nietzsche aus Naumburg die Griechen er-
f
klärte. Damals war Basel für mich die Stadt der Humanisten.
Diesmal wird es die Stadt der Totengräber, der Meßkuriosa und
Anomalien sein; denn ich bin mir selbst zur Kuriosität, zur Ano
malie und zum Totengräber geworden. Wenn ich den Aussagen
meiner Umgebung trauen darf, ist Basel der sittliche Kehrbesen
und sozusagen das wachsame Argusauge der Schweiz. Wer es
versuchen sollte, sich auch nur spaßeshalber hier aufzuhalten,
•ohne über seine Mütter und Urgroßmütter bis ins sechste Glied
hinauf Aufschlüsse geben zu können, der würde schlechte Er
fahrungen machen. Wer vollends bei der hochnotpeinlichen Frage
nach seinem Erdenberuf in ein ersterbendes Nervenzucken verfiele,
•der fände sich binnen vierundzwanzig Stunden ohne das geringste
Federlesen über die Grenze und dorthin spediert, wo sein nervöses
Zungenreden beheimatet ist.
*
Basel hat keinen Sinn für die Unbefleckte Empfängnis und
auch nicht für die stockende Redeweise. Wer hierorts etwas auf
dem Herzen, oder was dasselbe ist, auf dem Gewissen hat, der
trommelt und man versteht ihn. Hat seine Weltanschauung ein
geheimes Gemütsleiden, so trommelt er etwas stärker. Sind aber
Regungen vorhanden, die unzweideutig auf einen Defekt schließen