279
bedienen. Nur weil der Krieg noch heute etwas menschengemäßes ist, gibt es in
diesem deutschen Normalstaat Dinge, die der Zukunft nicht mehr menschengemaß
erscheinen werden.
Der Hauptunterschied zwischen Deutschland und fast allen Ländern ist
ferner der, daß Deutschland keinen Anschluß an die Kulturkreise der fran
zösischen Revolution gefunden hat. Aus diesem Grunde haben ja die Libe
ralen, für die der Krieg einen jämmerlichen Bankerott bedeutet, vor dem Kriege
behauptet, daß Preußen hinter allerlei wilden Völkern, etwa Serben, Portu
giesen, Mexikanern zurückgeblieben ist. In allen Staaten war die Revolution
eine Tat der Verzweiflung gegen den Druck der Mächtigen. In Deutschland
war dieser Druck nie annähernd so groß wie in Westeuropa, auch hatten die
Fürsten der Kleinstaaten keine so große Macht, wie die englischen, französischen
und jetzt noch die russischen Herrscher. In Preußen aber war dieser Druck ernstlich
nie vorhanden, während in Frankreich Arrestbefehle käuflich waren und ganze
Dörfer buchstäblich vor Hunger starben, wußte der preußische Bauer, daß es
Richter in Berlin gibt und während die Bourbonen und Stuarts das Land
ruinierten, sorgte König Friedrich bis zu seiner Auszehrung an der Verbesserung
und Bereicherung seiner Völker. Vielleicht tat das die Regierung aus Utilitaris
mus, für sie war es das Rechte und das Normale. I" dieser Richtung ging
Deutschland den weg des Sinnes und der Einsicht, und schließlich konnte es,
da es die Zeit der Revolutionen versäumt hatte, auf die Revolution verzichten.
Die Lage ist nun die, daß Deutschland seinem Sonderwege seine triumphierende
Unerschütterlichkeit verdankt, und das beispiellos ausgeglichene, allgemeine Wohl,
daß ihm aber gleichzeitig einiges unendlich Hohes noch fehlt. Durch den Krieg
hat der Staat so gewonnen, daß der Allgemeinheit eine Revolution unsinnig
erscheint, und sie ist es auch, weil das Volk als Ganzes evolutionistisch gesinnt
ist. Es ist im Grunde patriarchalisch geblieben, wie der Staat, und wie Preußen,
das wie eine Neugeburt des mosaischen Staatsbegrijfes dasteht. Daher haben
alle preußischen Verordnungen immer etwas kantisch-protestantifches und etwas
alttestamentarisches. Immer: du sollst; und immer; J., 2., 3. Gebot. Jetzt aber,
und sei es auch erst in 75 Jahren, tritt Deutschland in eine neue Epoche. Das
ganze Volk hat gezeigt, daß es alle Fähigkeiten hat, die der Staat bisher nur
einer Raste zutraute. Es wird keine Vorrechte mehr geben, weil alle das Vor
recht haben werden, Deutsche oder deutschen Sinnes zu sein, wird in den
nächsten Jahrhunderten das deutsche Volk zum Staat und der deutsche Staat
zum Volk, dann wird Deutschland am Ziele seiner Mission stehen. Es wird
ohne Revolution den Segen aller Revolutionen genießen. Es wird die äußerste
Demokratie vervollkommnen, weil eine Roruption in diesem Lande undenkbar
ist. Es wird ungeahnte Träume der Gleichheit zur Wirklichkeit erheben, und
das alles wird geschehen können, weil es das Land der Tugend ist.
Felix Srössinger