Mögen die Zeichen sich mehren! Mögen alle,
die al» Verleger und Zeitungsherausgeber ihr
Vertrauen und ihre Geldmittel für die Neue
Runst daransetzten, durchhalten. Möge Däubler
feinenGedichtbüchern tunlichst bald den geplanten
theoretischen Handweiser nachsenden. Und mögen
die, welche es angeht, sich endlich zu einer fest
gefügten Macht zusammenschließen! F.
Gottfried Venn: Die Eroberung.
(Weiße Blätter, Heft Nr.9.) Dieun-
gewöhnliche Diktion dieser sechs Prosaseiren
zwingt nachdrücklichst auf sie hinzuweisen. ES
ist eine Diktion, die nicht abgesondert und wie
ein Ergebnis dasteht sondern noch im fertigen
Sein ein Erzeugen, ein Sichentschütten, ein
weiter wandelndes Tun vollzieht. Der Schrei
bende erlöst sich nicht. Er strebt nicht, sich gegen
über zu treten. Er zieht keinen Strich zwischen
den gehabten Vorfall und die Abschilderung.
Der Aktus umgreift ihn ganz. Der ganze Mensch
stülpt sich hinaus ins Erlebbare, ins Aufzuzeich
nende und man meiß nicht, ob dies einen Unter
gang der Ichheit oder ihre Festigung herbeiführt.
Aberviclleicht mußüderhaupt dem neuen Schrift
steller gegenüber vom alten Umstande eines starren
Ichs abgesehen werden. Die Seelenkunde hat
das Ich» seit Taine und Ribot, bis nieder in die
körperlich-vererbte Feststellbarkeit, aufgegeben.
Schon versuchte z. B. Maeterlinck die neue Auf
fassung in die Runst einzuführen; doch siegte
über das neue Gefühl noch das bislang herr
schende Formgesey: seine spiritualen Einakter
sind letzte Spiegelungen des früheren, des scho
lastischen Weltbilds.
BennS„Eroberung"hatdasIchprodlem in seiner
neuen Formulierung selbst zum Gegenstände, was
hier aufgegriffen, zerlegt und für die Zukunft
vorbildlich gemacht ist, das kann ein Blinder
greifen. Darüber zu reden erlassen wir uns.
Merkwürdiger, wie gesagt, ist die Diktion, diese
aufzischende, verströmende, gurgelnde Diktion,
die seit Heym in der Lyrik, feit Heinrich Mann in
der Prosa ihre noch halb suchenden Schritte tut.
Das Ich. das neu sich ansieht, muß auch not
wendig neu sich aussagen. ES kann nicht mehr
den alten Syllogismus, die alte Trope, den
ganzen alten Gedankenapparat caufaler Reihen-
bildung benutzen; dieses klassische, seiner Plasti
zität gewisse Ich ist zerfallen wie ein nicht mehr
besuchter Tempel. Herein witterte Welt aus Nord
und Süd. Herein witterte Glut noch uncrkaltcter
Erdtiefe. Das Ich „im Schauer- feiner Haut, im
Sprunge seiner Glieder, im Trunk der Augen,
in seines Obres Rausch: als der Blüten eine,
das Ich, als der Tiere Beischlaf, unter einem
Himmel, unter einer Nacht..."
So blinzelt bei G. Benn das Wort wie aus einem
Gewimmel von Schöpferlust; es erwächst! man
mirlcbt den Zustand, aus dem es sich zum Tage
hebt; der Zustand sättigt cs; es umklammert
ihn wie Wurzelwerk von Schlingpflanzen den
Teichschlamm. Diesen Zustand kann man rundum
betrachten; er zuckt; er ist nicht still, er hat nicht
nur eine Vorderseite. Er reißt die Betrachtung
zu sich mitten hinein, treibt sie inwendig imRreise,
nach oben und unten. Die Betrachtung wird eins
mit dem Zustande; beide werden eins mit dem
schöpferischen Ich des Dichters, und dieses, das
für sich nicht existierende, vervielfältigt sich, ver
vielfältigt uns in Welt, Gesicht, Zusammenheit
des Entlegensten, was die Vorläufer der neuen
Runst, Suso, Mechthild, Böhme nur im Um
kreise des christliche» Dogmas verwirklichten,
wird bei Benn, Schickele, Becheru. a. das ständige
Prinzip des Schreibens: Sie vertropfen in alle
Rreatur, Idee und erwünschte FremdniS ihr
liebendes Blut. kl.
Bemerkung der SchriftleLtung.
Die nächste Kummer (die erste des neuen Jahrganges) wird das Zeit-Echo innerlich
verändert zeiaen. Freunde und Gegner werden bald sehen: warum und wie.
Für die Schriftleitung verantwortlich zeichnet von da an:
Hans Siemfen, Lichterfelde, Sternstraße 25.
Als Herausgeber nach wie vor Otto Haas-Hepe.
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Otto Haas-Heye
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In Österreich für die Redaktion verantwortlich Hugo Heller, Wien, l,
Bauernmarkt 2