Der Kampf entbrennt heftig. Die Polemik zwischen den Parteigängern des Alten
und des Neuen verschärft sich, bis sie den Charakter einer wahren Schlacht
annimmt. Die Sezession vertritt die folgenden Grundsätze: die Rückkehr zur
Natur, zur freien Beobachtung, zur echten, von jedem Cerebralismus, von jeder
gekünstelten Überstruktur befreiten Ausdrucksweise, um sich so den reinen und
einfachen malerischen Werten zuwenden zu können. Das historische Gemälde,
die Anekdote, das Kostüm werden als dekadent abgelehnt. Die Farben, das Licht
als Schöpferin von Farbe und Form spielen jetzt in den Bildern die wichtigste
Rolle. Die Berufsmodelle werden abgeschafft, das Sujet ist nicht mehr wichtig, man
verläßt die geschlossenen Ateliers und geht hinaus in die freie Natur. Hier
begrenzt erst der weite Horizont die Phantasie, das Zittern des Lichtes wird zum
malerischen Wachtraum, dem man sich mit Begeisterung überläßt. Nur wenige
Eingeweihte mögen erkannt haben, daß dieser «Luminismus» schon Leonardo
beschäftigt hatte.
Auf dieser gemeinsamen Basis haben sich jene Künstlerkreise gebildet, die im
Italienischen als «cenacoli» bezeichnet werden.
Neapel erlebte die üppige Blüte seines geistigen Lebens in den Kreisen des alten
«Ateneo», wohin — nach Jahren des Exils und der Gefangenschaft — geniale Pa-
trioten wie De Sanctis (aus Zürich kommend) und Settembrini, Philosophen und
Ästhetiker wie Spaventa und Tari zurückkehrten. Während die Generation Croces,
Bovios, Antonio Labriolas und S. de Giacomos heranwuchs, begann, angeregt von
Pitloo, die Erneuerung der Malerei durch Giacinto Gigante, dem Carelli, die Pa-
lizzi (*) und andere bis zu Dalbono (*) folgten. Ihre Anhänger erklärten der
Akademie den Krieg und suchten ihre Motive in der freien Landschaft. Sie pfleg-
ten sich in Portici zu versammeln und nannten sich deshalb die «Repubblica di
Portici». Sie durchstreiften die zauberhafte Landschaft des Golfes von Neapel
und begeisterten sich an den Ausblicken auf die «più bella città delle marine».
Man hat sie auch als die «Posillipisti» bezeichnet. Morelli (*) und Toma (*) blieben,
in verschiedener Hinsicht, der Bewegung fremd.
Der berühmteste dieser Künstlerkreise — sowohl durch seine kämpferische Haltung,
wie durch die überragende Bedeutung einzelner Mitglieder — ist der florentinische,
der seinen «Horst» im Caffè Michelangelo hatte und sich die «Macchiaioli»
nannte. Der Ursprung dieser Benennung läßt sich nicht mehr genau feststellen.
Es ist fraglich, ob sich die «Macchia» auf die impressionistische Art der Malerei,
die Pinselführung, den «Farbfleck» bezieht (s. die gleichnamige Abhandlung von
Benedetto Croce), oder ob sie den rebellischen Charakter ihrer Jünger ausdrücken
will, als Synonym von irregulär, außerhalb des Gesetzes stehend, «darsi alla
macchia». Vielleicht sind beide Deutungen richtig. Der Initiant der Bewegung war
de Tivoli; sie wurde auch von dem römischen Landschaftsmaler Nino Costa be-
einflußt. Abbati, Banti, Sernesi, nahmen aktiv an ihr teil, und der Veroneser Ca-
bianca war mit ihr verwachsen. Die «Macchiaioli» gaben auch ein kleines Kampf-
blatt heraus, dessen geistiger Urheber der witzige toskanische Maler Telemaco
Signorini, der Nestor der Bewegung, war. Ihr größter Meister ist Fattori (*). Ihm
fast ebenbürtig ist der ernste und feinsinnige Patriot Silvestro Lega.
In Rom ist Nino Costa der größte Meister der Landschaftsmalerei. Unter seiner
Ägide formt sich die lebhafte kleine Gruppe der «Acquarellisti della Campagna
romana», die fast provinzlerischen Charakter hat. Wie Rom in der ersten Hälfte
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