Volltext: Jahresbericht 1974 (1974)

artige Schweizer Tradition des Puppenspiels stellt — vielleicht als deren 
makabrer, erstarrter Endpunkt. Das Hochzeitspaar ist ein Paar von zwei 
in Konventionen gefangenen Menschen, die das Schicksal ihrer Konven- 
tionen maskenhaft «in sich gekehrt», verbittert, gottergeben tragen. 
Zwischen ihnen gähnt Beziehungslosigkeit. Den Ausdruck prägen die 
kräftig geformten Masken, die subtil abgestimmte Farbigkeit und die 
expressive Haltung; die Einzelteile der Gesichter und der Hände, auf- 
gedunsen und skelettartig zugleich, sind genäht: eine nicht illusionistische 
Technik, die den Ausdruck drastisch intensiviert. Menschliche Einfüh- 
lung verbindet sich mit einem ungewöhnlichen kunsthandwerklichen 
Metier zu einzigartigen Symbolen für unsere Zeit. 
Dieter Roths Werk ist genährt und getrieben von der Gewissheit, dass 
alles Seiende sich in ständiger Veränderung befindet. Seine Kunst ist eine 
ununterbrochene Bewegung, ein ununterbrochenes Befruchten, Gebären 
und Sterben in einem. Heraklit, von dem Sätze. wie «Kaltes erwärmt 
sich, Warmes kühlt sich, Feuchtes trocknet sich, Dürres netzt sich» über- 
liefert sind, ist sein Ahne. Was Dieter Roth zu Papier bringt, ist als Epi- 
sode aus einem immerwährenden Prozess zu verstehen, im Gegensatz zu 
jenem andern grossen Ziel der Kunst: der Verewigung. Das unüberseh- 
bar riesige (Euvre, das Roth laufend in einem vielbändigen (Euvrekatalog 
festhält, ist eine Sammlung von Spuren des Vorübergehenden. Unser Bild 
Grosses Doppelkopfquarteit zeigt vier doppelseitige Profile: Profile, die 
Roth plötzlich im Umriss von Zeichnungen, die aus der reinen, lockeren, 
fast unendlich wiederholten Drehbewegung der Hand entstanden, ent- 
deckte und nun seit längerer Zeit in vielen Variationen verfolgt. Es bleibt 
aber hier nicht bei der «einschichtigen » Zeichnung, sondern schon unter 
der Hand des Künstlers erlebt sie eine Überschichtung, die den Ursprung, 
die Drehbewegung, stellenweise verschleiert und mit neuen Formen 
überlagert. Es sind mehr oder weniger dicke und durchsichtige Schichten 
von Leim, die sich über den Karton ergiessen und sich zu einer glänzigen,
	        
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