Mit dem grossformatigen Relational Painting
1945-48 sind Inkubationszeiten und Retardierungen
iberwunden: «determined space» heisst es nun, ein
völlig durchstrukturiertes Bildganzes von einer nur
so und nicht anders zu erzeugenden Räumlichkeit
entfaltet sich vor den Augen des Betrachters.
Rechteck fügt sich an Rechteck, Rechteckgruppen
vereinigen sich zu Formblöcken, jedes Rechteck
durch Abschränkung fast unmerklich aktiviert. Die
sich wiederholende Schräge ist zudem ein Mittel
der Vereinheitlichung. Diese Funktion erfüllen auch
die konstanten Grössen der Primärfarben Rot, Blau
und Gelb. Der Reichtum der Grautöne zwischen
Weiss und Schwarz freilich bringt das Bild zum Le-
ben, gleicht aus, betont, akzentuiert, moduliert. - In
dieser elementaren und wandlungsfähigen Welt
seiner «Beziehungsmalerei» fand Fritz Glarner seine
künstlerische Befriedigung. Das Relational Painting
hält ihn fest in den beiden Varianten des Rechteck-
formates und des Tondos. Insgesamt schuf er 74
rechteckige und 65 runde Bilder dieser Art. Sein
erstes Relational Painting verkaufte er 1945 an die
amerikanische Mäzenin (und Malerin) Katherine
S.Dreier, 1920 Begründerin der «Societe Anonyme).
Mit seinen grossen Wandbildaufträgen hat Fritz
Glarner sich später dann in die amerikanische Aner-
kennung hineingemalt.
Wer an Glarner und sein Relational Painting denkt,
der denkt unwillkürlich auch an Piet Mondrian. In
dem Kunsthaus-Legat sind zwei Bilder enthalten,
die Mondrians in New York entstandenem Spätwerk
besonders nahe zu stehen scheinen: Painting (grey)
von 1942 und Painting (white) von 1945. Sie tragen
alle Züge des Relational Painting, aber aus Gründen.
die Glarner nirgends erklärte, nannte er sie nicht so.
'm Stand schöpferischer Unschuld, unberührt von
der auch damals schon vom Erfinderehrgeiz be-
herrschten Kunstszene, entschloss sich Glarner zur
Verwendung der Primärfarben und elementarer
rechtwinkliger Bildstrukturen, wie sie als Reservat
von Mondrian und des Neoplastizismus galten. Er
tat es deshalb, weil ihm diese Mittel für seine Ab-
sichten am geeignetsten schienen, und er hat ihnen
einige feine, aber wesentliche Eigenheiten ange-
deihen lassen. Darin mag mehr originales schöpferi-
sches Denken liegen, als manche lautstark ihre Erst:
geburtsrechte deklarierenden Malerkollegen sich
sarträumen. In der Kunsthaussammlung kann man
nun die entsprechenden vergleichenden Studien
selbst betreiben. Einen grundsätzlichen Unterschied
zwischen Glarner und dem späten Mondrian (z.B.
Broadway Boogie Woogie 1942-43, leider nicht in
Zürich, sondern im Museum of Modern Art in New
York) muss man in ihrer jeweiligen Auffassung über
die Bilddimensionalität suchen: Mondrian — mit den
sich überkreuzenden Gittern, Glarner - mit dem
‚einen Aneinanderstossen der Gitter, was völlig
anders wirksame Bildräume evoziert. Man weiss
nicht, worüber Mondrian und Glarner bei ihren
gegenseitigen Atelierbesuchen diskutiert haben —
vielleicht über solche Fragen? Einer, den man hier
arwähnen muss und den man ebenfalls im Kunst-
haus Zürich mit Anschauungsbeispielen antrifft, ist
>aul Klee mit seiner Vorstellung der Farbdimensio-
nalıtät.
Fritz Glarner hat lange an seinen Bildern gemalt, er
hat sie weggestellt, dann wieder hervorgeholt und
neu überprüft. Da er seine Malerei als Fortsetzung
ein. und desselben Bildgedankens verstand, musste
‘hm daran gelegen sein, die Entwicklungsfähigkeit
dieser Idee zu verdeutlichen. Die Zeichnung wurde
für ihn zu dem Medium, worin er die Abweichungen
von den kompositionellen Grundregeln des Relatio-
nal Painting erforschen konnte. Er konnte damit
auch belegen, wie die scheinbar so neutrale, geo-
metrische Syntax seiner Bildsprache für Ihn zum
Spielraum schöpferischer Fantasie geworden ist. Er-
freulicherweise gehören zum Glarner-Nachlass auch
Zeichnungen und eine grössere Zahl unfertiger
Leinwände in unterschiedlichen Stadien der Ausfüh:
"ung. Daran zeigt sich die kreative Mühsal, die Fritz
Glarner sein Leben lang begleitete, und man ist be-
rührt von der intensiven Mischung aus nüchterner
Selbstkritik und tastender Unsicherheit, die den
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