VIER WERKE DES INTERNATIONALEN
KONSTRUKTIVISMUS
Mit dem 1983 ins Leben gerufenen «Fonds für den Erwerb
von Werken der geometrisch-konstruktiven Kunst»
konnten bis 1986 die Werkgruppen der Zürcher Konkreten
massgeblich ergänzt und Arbeiten von Künstlern der mitt-
leren Generation neu erworben werden. Dass die interna-
tionale Entwicklung, d.h. vor allem die Genese der geome-
trisch-konstruktiven Kunst seit den achtziger Jahren in der
Sammlung ebenfalls besser zur Geltung kommt, geht auf
die Ankäufe etwa von Moholy-Nagy’s frühem Hauptwerk
«LIS», 1922, und die «Komposition V», 1918, von Theo van
Doesburg, auf Geschenke wie «Minuit», 1953, von Auguste
Herbin, das Legat Fritz Glarner (1979) oder die Schenkung
Anton Stankowski (1984) zurück. Von den Gründervätern
und -müttern des Konstruktivismus waren vorher nur
Johannes Itten (Begegnung, 1916), Sophie Taeuber (Trip-
tychon, 1918), Piet Mondrian (Komposition I, 1925), Fried-
rich Vordemberge-Gildewart (Konstruktion Nr. 7, 1924),
Frank Kupka (Langage vertical, 1926) und Georges Vanton-
gerloo (Relation de lignes, 1938) mit repräsentativen Einzel-
werken sowie Josef Albers mit einer Werkgruppe,
vertreten gewesen.
Dank Geschenken zum Jubiläumsjahr erfährt nun dieser
Bestand eine reiche Ergänzung. Neben vier zu bespre-
chenden «Hauptstücken» sind dies drei weitere Ölbilder
von Schweizer Künstlern (Jean Baier, Max Bill, Walter
Bodmer) und ebensoviele Zeichnungen (Camille Graeser,
Johannes Itten, Richard P. Lohse).
Vier konstruktive Künstler aus drei Ländern: ein weltbe-
rühmter Holländer, Piet Mondrian, geb. 1872, ein unbe-
kannter Ungar, Vilmos Huszar, geb. 1884, und zwei
Deutsche, Willi Baumeister, geb. 1889, mit Friedrich
Vordemberge-Gildewart, geb. 1899. Weil vor der Jahrhun-
dertwende geboren, zählen sie alle zur ersten Generation
geometrisch-konstruktiver Künstler.
Das am frühsten datierte Werk aus dem Quartett nennt
sich vorsichtig «Dreidimensionales Objekt». Vilmos
Huszar, seit 1908 in Holland lebend, hat das Holzkästchen
ın den Jahren 1916/17 hergestellt. Es ist allseitig mit weiss
bemaltem Papier kaschiert und mit eingefärbten Papier-
stücken beklebt. Die Masse, insbesondere die Tiefe von
8,5 cm, verweisen auf einen ursprünglichen Gegenstand
zum täglichen Gebrauch. Auf der rechten Seitenwand ist
ein kaum mehr lesbarer Schriftzug ins Holz geprägt, der
einen Namen aus dem Bereich der Medizin suggeriert.! Das
Entscheidende ist jedoch das Entstehungsjahr, wohl 1917.
Huszar gelangte über seine intensive Beschäftigung mit
Glasfenstern im Jahr 1916 endgültig zur Abstraktion.? 1917
gehörte er mit Theo von Doesburg, Piet Mondrian, dem
Architekten Oud und anderen zu den Gründern der
Gruppe «Der Stijl». Für deren gleichnamige Zeitschrift hat
er noch gleichen Jahres eine Vignette mit Schriftzug und
Signet entworfen, die möglicherweise auf eine Komposıi-
tion von 1916 zurückgeht. Da auch Mondrian erst 1917 zu
Kompositionen mit freigestellten Farbflächen gelangt ist,
scheint die frühere Datierung von Huszar zweifelhaft.
Mit kleinen, unwesentlichen Veränderungen hat Huszar
das rhythmische Flächenmuster aus rektangulären Einzel-
formen auf das Kästchen übertragen. Die einzelnen
Formen auf dem Deckel sind je von den Primärfarben
besetzt, wobei Rot nur im kleinen Quadrat auftritt, und
schwarz und weiss hinzukommen. Das Blau erscheint nur
auf dem Deckel, während die schmale Seitenfläche oben
vom rot-schwarz-Kontrast, die untere vom gelb-schwarz-
Gegenspiel bestimmt ist. Die längeren Seitenflächen
enthalten beide rot-gelb-schwarze Farbflächen. Im Unter-
schied zur Vignette für die Zeitschrift und zum gedruckten
Titelblatt für die erste Ausgabe 1917 ist die Komposition
auf dem Objekt «gelängt», weil hier gleichsam der
Schriftzug entfallen ist. Insbesondere die beiden blauen
Hauptflächen sind von der fast quadratischen Ausgangs-
form in Längsrechteck-Formen verändert worden. Wenn
man diese geringen Abweichungen in Rechnung stellt,
wenn man zudem das Aussenmass der Zeitschrift
(26 X19 cm) mit der Länge und Breite des Kästchens
(28,5 X 21,5 cm) vergleicht, scheint sich das Geheimnis
seines Zwecks zu lüften: das «Dreidimensionale Objekt» ist
nichts anderes als eine Schachtel zum Aufbewahren einer
inzwischen berühmt gewordenen Zeitschrift, welche die