verdaut und ausgespien, aber auch mit einer rätselhaften
Geschichte gesättigt, eignete sich Mirö an, verwandelte sie
im Schmelztiegel seiner Vorstellungskraft und vereint sie
zu neuen, unerwarteten Konfigurationen. Ihr neuer Sinn
blitzt in den assoziativen Bezügen auf, deren unbewusste
Pfade die Surrealisten so leidenschaftlich erforschten.
Das «Peinture-objet» von 1931 (Abb. 13) gehört zu den sehr
seltenen Arbeiten dieser Art. Mirö hatte nur wenige
gemacht und von diesen lösten sich einige ihrer gebastelt
unstabilen Natur nach bald auf. Es passt besonders gut ın
die Sammlung des Kunsthauses, da sich in seinem
verschmitzt ironischen Bezug zur Technik die innere
Verwandtschaft zu DADA deutlich ausspricht. Offensicht-
lich ist es Ja so eine Art Radio, oder, genauer gesagt, ein
Sender-Empfänger: links etwas frontal einäugig Zyklopen-
haftes mit grossem Maul: der Lautsprecher, dann über
silberne Wölklein und Zahnrädchen die Übermittlung
durch den Äther zum Adressaten im Profil. Dessen Gesicht
ist ganz Ohr, mit Fühler-Haaren als Antennen ausgestattet;
die Botschaft elementaren Charakters — rot, gelb, blau —
aber prägt sich im Körper markant aus. Von was für Gerät-
schaften wohl die Teilchen stammen? War das «Auge»
oder «Gestirn» wohl ein Backförmchen, mit dem ein
Mädchen im Sand spielte, oder fing es das Wachs einer
Kerze auf?
Die imposante «Grand personnage» (Abb. 14) entstand ein
Vierteljahrhundert später, als Mirö mit Artigas zusammen
in der uralten Technik der gebrannten Erde arbeitete. Alles
Glatte und Kultivierte, wie es der Malerei notwendig eignet,
wurde hier betont vermieden; das rohe Material soll durch
offene Rauheit seine eigene Kraft den Werken mitteilen,
wie es gleichzeitig die «Art brut» anstrebte. Während dem
gegenüber der formale Aufbau, die Zusammensetzung
abstrakter und gegenständlicher Teile meist unerwartet und
gewagt wirkt, eignet der «Grand personnage» auch in dieser
Hinsicht etwas Urtümliches: ein knollenartiger Kopf
schwebt auf einem Obelisken. Dieser erinnert weniger an
die erhaben vollendeten Monolithen Ägyptens als an stein-
zeitliche Menhire; stets deuten diese ragenden Steine auf
die Verbindung der Erde zum Kosmos, wie dies auch Mir6
durch Stern und Sonne klar anzeigt.
Zu dieser geometrisch scharfkantigen Grundform bildet
der knollenartig organische Kopf einen extremen Gegen-
satz, der durch den Unterschied im Material noch betont
wird. Ähnliche Kontraste liebte Mirö auch bei der Stilisie-
rung von Figuren in seinen Bildern. Umgekehrt sind das
grotesk grosse Maul, die Scheiben der Augen und die
Schlangenlinie von Brauen und Nase graphisch auf die
Oberfläche eingeschrieben, deren Wölbung nur gering auf
diese Zeichen Rücksicht nimmt; umso urtümlicher wirken
diese Wülste. Die Gestaltung des Kopfes findet sich ähnlich
schon 1946 in einer Zeichnung und 1953 ın einer Bronze;
der Künstler hat auch später diese zwischen Humor und
Schreck angesiedelte Larve wieder aufgegriffen («Kopf und
Vogel» 1969). Wie nun dies dämonische Antlıtz in höchst
prekärem Gleichgewicht über dem dreieckigen Himmels-
Weiser erscheint und sich diesen als Leib aneignet, vermag
den Betrachter zu verschiedenen Assoziationen und Reak-
tionen zu provozieren; und so ist auch diese Skulptur
Mirös einer von seinen immer wieder neu faszinierenden
«Energiesender ın den Raum» (Dupin).
Christian Klemm
Verwendete Literatur:
Christian Geelhaar: Paul Klee und das Bauhaus (Köln 1972), bes. S. 44-49.
- Jürgen Glaesemer: Paul Klee. Die farbigen Werke im Kunstmuseum
Bern (Bern 1976) bes. 5.162 f, 178-183, 333 ff. — Paul Klee. Das Werk der
Jahre 1919-1933 (Ausst. Kat. Köln 1979) bes. Eva-Maria Triska: Die Qua-
dratbilder Paul Klees (S. 43-78). - Jürgen Glaesemer: Paul Klee. Hand-
zeichnungen III. 1937-1940 (Bern 1979; - Sammlungskataloge des Berner
Kunstmuseums, Paul Klee Bd. 4). - Paul Klee. Spätwerke 1937-1940
(Ausst. Kat. Bündner Kunstmuseum Chur 1986).
Jacques Dupin: Miro, der Bildhauer (Genf o.J.). - Joan Mirö (Ausst. Kat.
Zürich 1986). — Gloria Moure: Miro, der Bildhauer (Ausst. Kat. Köln 1987).