ses Werk wie kaum ein anderes in Albertos Schaffen eine
«italienische» Ausstrahlung!
Wenn es somit wohl kaum Zweifel geben kann, eine
Datierung nach den beiden ersten Italienaufenthalten
anzunehmen, so bleibt die Frage offen, wie weit eine zeit-
liche Fixierung in die 20er Jahre hinein angezeigt wäre.
Das sehr flache Relief könnte nämlich «prima vista»
als Vorstufe zu den betont flächigen Köpfen der Mut-
ter (Alberto-Giacometti-Stiftung Nr. 7) und des Vaters
(Alberto-Giacometti-Stiftung Nr. 9) von 1927 und schliess-
lich noch zur Serie der «Tete qui regarde» (Alberto-Giaco-
metti-Stiftung Nr. 10ff) aufgefasst werden. Die stilistische
Distanz ist allerdings nicht übersehbar. Wenn in den so-
eben erwähnten Köpfen von Mutter und Vater jedes
Detail vom Streben nach formaler Klärung diktiert wird,
so erweist sich das Marmorrelief als vergleichsweise dif-
fus. Gewisse Partien erinnen an formale Lösungen, die
Alberto noch vor den Italienreisen erprobt hatte. So ver-
binden sich die Hohlformen der Pupillen mit der glei-
chen Ausformung der Augen des bereits 1915 entstande-
nen Bronzekopfes nach dem Bruder Bruno (Reinhold
Hohl, Alberto Giacometti, Stuttgart 1971, Abb. S.34).
In sämtlichen Portraitköpfen, die nach 1923 entstanden
sind, werden die Augen als rundplastische Form heraus-
gebildet. Auch die gerundete Linienführung der Nasen-
flügel geht auf frühere Formulierungen zurück, so etwa
auf eine Federzeichnung von 1918, die den Kopf der
Mutter in streng frontaler Haltung wiedergibt (Alberto-
Giacometti-Stiftung Nr. 157).
Diese Reminiszenzen an formale Lösungen, die Al-
berto während seiner Gymnasialzeit erprobt hat, legen es
nahe, das Marmorrelief so einzuordnen, dass es unmit-
telbar im Anschluss an die Italienaufenthalte von 1920/21
entstanden ist.
Am 5. August 1921 feierte Annetta Giacometti ihren
50. Geburtstag. Ist es nicht denkbar, dass ihr Alberto
zu diesem Anlass unser Marmorrelief überreicht hat?
Im Juli kehrte er von Rom kommend nach Maloja
zurück. Sollte das Relief tatsächlich die Funktion
eines Geburtstagsgeschenkes gehabt haben — würde
nicht gerade dadurch auch erklärt, weshalb sich diese
Arbeit nur als Aussenseiter in Albertos Entwicklung
einfügt?
Die Neueingänge der Alberto-Giacometti-Stiftung
sind im Berichtsjahr so bedeutend, dass es sich recht-
fertigt, diese im Folgejahr in einer Sonderausstellung zu
präsentieren. Darın wird zweifellos die Plastik «Vide
poche», die erneut der Grosszügigkeit von Bruno und
Odette Giacometti zu verdanken ist, besondere Beach-
tung verdienen. Das surrealistische Gipsobjekt, das nur
in zwei Exemplaren existiert, ist in den frühen 30er Jahren
entstanden, in denen das Spannungsverhältnis von
Mann und Frau in Giacomettis Plastiken eine häufig
wiederkehrende, dominierende Rolle spielt. Die Dualität
der formalen Elemente, die in unserer Plastik auf einer
eiförmigen Schale vereinigt sind, nimmt diese Thematik
auf, wobei sich in formaler Hinsicht auch Analogien zu
Werken wie «Objet desagreable ä jeter», 1931 (Alberto-
Giacometti-Stiftung Nr. 135) oder «Projet pour une place»
1931-32 (Sammlung Peggy Guggenheim, Venedig) auf-
zeigen lassen.
Einer Neuentdeckung gleich kommt schliesslich eine
Serie von 50 Radierungen, die 1961 im Zusammenhang mit
der Publikation des Buches von Michel Leiris «Vivantes
cendres, innomm&es» entstanden sind. Die Vorzugsaus-
gabe des Buches enthält 19 Radierungen, die restlichen
Blätter sind unbekannt geblieben. Diese bedeutende
Graphikfolge ist ein Geschenk der Stadt Zürich an die
Alberto-Giacometti-Stiftung; die Kunstgesellschaft plant,
diesen Fund 1989 in einer gesonderten Publikation zu
veröffentlichen.
Felix Baumann