Durch die Gestaltung der Figuren kann nun das Einzel-
werk innerhalb der Rahmenstruktur entsprechend den
Erfordernissen des gewählten Themas vielfältig differen-
ziert werden. Für den Oberon greift Füssli auf den Apoll
von Belvedere und damit auf eine besonders reichhaltige
Tradition zurück, die seinem kombinatorischen Umgang
mit dem Material bereits seit dem Manierismus kräftig vor-
gearbeitet hat. Die Haltung, die Leochares dem herbei-
schreitenden und weit über den Bogen seinem Geschoss
nachblickenden Gott zu geben wusste, machte diesen zur
klassischen Gestaltung der Epiphanie, der sich enthül-
lenden Offenbarung eines Überirdischen, und damit für
Füsslis Zwecke sehr geeignet. Wie die Vorzeichnung in der
Graphischen Sammlung des Kunsthauses zeigt — eine der
seltenen Detailstudien und anscheinend die einzige zu
einem Gemälde in Zürich — experimentiert Füssli zugleich
mit Frontal- und Profilansicht und der Vertauschung der
Seiten: das Resultat zeigt Kopf, Arme, Körper seitenver-
kehrt im Profil, während die in ihrer Bewegung vom
Schreiten zum Schweben gesteigerten Beine der Frontal-
ansicht entsprechen. Dadurch wird der Figur mit dem
kontrapostischen Drehmoment die Raum erschliessende
Spannung genommen und sie der ganz von der Flächen-
rhythmik bestimmten Kompositionsweise Füsslis ange-
passt. Freilich mag er sich bereits an älteren derartigen
Umformungen orientiert haben, etwa an einem tanzenden
Faun aus Pompeji, der zur balletthaften Grazie des Elfen-
königs passte, oder an den von Matham nach Goltzius
gestochenen Frühling, gleichfalls Blumen streuend und die
Linke lässig eingestützt. Dass diese Geste seit Lysipps Alex-
ander-Statue zur Herrschertypologie gehört, deutet Füssli
durch das Szepter an, das freilich durch solch nonchalante
Handhabung des würdevollen Hoheitszeichens dessen
Bedeutung ins Ironische schillern lässt.
Der Bezug zu der manieristischen Jahreszeitenallegorie
führt uns zurück in die Ideenwelt jener Zeit, in der auch
Shakespeare seinen Sommernachtstraum dichtete. Im
zweiten Akt stösst das entzweite Königspaar aufeinander,
und da schildert Titania, wie der Elfen Streit die Natur aus
ihren Bahnen treten, die Jahreszeiten sich verwirren lässt:
sie sind es, diese unfassbaren Natur- oder Geisterwesen, die
im Sublunaren Hitze und Feuchte, Zeugung und Wachs-
tum sympathetisch im Gleichgewicht halten und zur kos-
mischen Harmonie in Mikro- und Makrokosmos bei-
tragen, eingebunden in die Catena aurea, die goldene Kette
der Wirkungskräfte, die durch alle Sphären das Oberste mit
dem Untersten zusammenhält. Nicht von ungefähr
schwebt Oberon vom Monde nieder zu seiner Gattin aus
dem Geschlecht der Titanen, der alten Erdgötter: weniger
zin Bild der Entzweiung und Behexung dünkt es uns, als
zine allegorische Vorstellung jener magischen Vereinigung,
die noch in Eichendorffs Mondnacht nachklingt:
«Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.»
Tatsächlich durchdringt ein rhythmischer Wohlklang
das Gemälde wie selten ein Bild von Füssli. Durch die
Gegenläufigkeit zur normalen Richtung von links nach
rechts bleibt die Bewegung Oberons in der Schwebe; nicht
mit Flügeln oder durch den Raumsog der Tiefe, wie auf
spätbarocken Deckengemälden, sondern eingespannt und
aufgehoben in den Energien der Bildfläche, bleibt er der
Schwerkraft entzogen. Die Schwingungen seiner Glieder
setzen sich in den Linien seiner Titania fort und vereinen
das Paar ebenso wie das nicht vom Mond kommende, son-
dern gegenseitig aufeinander strahlende Licht der hellen
Körper. Füsslis Art, diese nicht blutdurchpulst organisch,
sondern schalenhaft abstrakt zu behandeln, passt zu den
nächtlich schwärmenden Naturgeistern besser als zu
menschlichen Helden. Auf dem Gegenstück, auf dem die
verzauberte Titania den eselsköpfigen Webermeister Zettel
karessiert, finden sich denn auch insektenhafte Misch-
wesen, wie der geflügelte fliegenköpfige Tänzer im Vorder-
grund, der den Elfenkönig parodiert. Sieht man die beiden
Bilder zusammen, so rücken Oberon mit der zweiten
Titania im Zustand der Abwendung in die Mitte; doch der
Schwung, der vom tanzenden Paar unten über den
schwarzdunklen Kobold rechts zur Lautenspielerin führt,
das verwunschene Liebespaar umkreisend, leitet zur ersten
Szene zurück, von den Blicken und Gesten der Hofdamen
unterstützt. Im zyklischen Rücklauf mag nun dieses Bild
auch zeigen, wie Oberon mit einer anderen Knospe der
schlafenden Titania Augen von ihrem Wahn befreit und
sich so die beiden männlichen und weiblichen Natur-