Volltext: Jahresbericht 1997 (1997)

sind die Bilder von Andy Warhol, die sich am intensiv- 
sten mit «Malerei» auseinandersetzen. Zwei der Werke 
blieben als längerfristige Leihgaben nach Abschluss der 
Ausstellung in unseren Sammlungsräumen. BC 
Arnold Böcklin, Giorgio de Chirico, Max Ernst — 
Eine Reise ins Ungewisse 
Trotz aktenkundigen Verbindungen bedeutete selbst für 
Kunstkenner der gleichzeitige Auftritt der drei Maler- 
Poeten ein Wagnis. Für jene, welche die Ausstellung 
mehrmals besuchten (nicht wenige) und auch ım 
Katalog schmöckerten, hat sich die «Reise» zweifellos 
gelohnt. Ein neuer Weg zum Surrealismus wurde mit 
Bildern deutlich, vom symbolistischen Böcklin über 
den metaphysischen De Chirico zum Surrealisten 
Max Ernst, ein eminent deutsch-italienischer Pfad nach 
Paris. Selbst das mit Spannung erwartete erste Geheim- 
treffen von Böcklin und Max Ernst zeitigte ergiebige 
Korrespondenzen, etwa in ihrer Bewältigung von Kriegs- 
angst und Tod oder der Ambivalenz des Waldes als Ort 
der Bedrohung und des Heils. 
Offenbar aber blieb die Reise für einen exklusiven 
Kreis von Kennern, von kreativen Menschen wie Schrift- 
stellern, Psychologen oder Naturforschern, Tagträumern 
und Spätromantikern, Neodadaisten und ewigen Kın- 
dern reserviert. Das grosse Publikum blieb aus, das 
«schwindelerregende Trio» (Michel Butor) verführte zu 
keiner Massenhysterie oder den gewünschten Ohn- 
machtsfällen. Die Schau sei zu anspruchsvoll, kursierte — 
in Zeiten geistigen Schnellfutters - bald das Vorurteil. 
So reagierten die Verantwortlichen zwar schnell 
und intensiv mit Führungen und Veranstaltungen, u.a. 
mit Michel Butor und Cees Nooteboom, aber selbst 
diese Weltautoren vermochten den Bann der «Wissen- 
den» nicht zu brechen. Erst in den mehrstündigen 
Führungen zu Schluss der Ausstellung, die zu eigent- 
lichen Happenings auswuchsen, wurde jene ideale 
Rezeptionsform gefunden, die ein totales Eintauchen in 
den Zeit-, Gefühls- und Bilderstrom erlaubte. Erst so 
wurde die Quelle des Unbewussten und der irisierende, 
morbide wie erotisierende Inhalt des ausgeschütteten 
Füllhorns sinnlich und in luziden Denk- und Spielform 
erfahrbar. Die Bilder verwandelten sich in jenen leben- 
digen Stoff, der das eigene Unbewusste anımierte und 
den seligen Zustand der Unwissenheit zum Erlebnis 
machte. Die faszinierenden Durchblicke der Ausstel- 
lungsarchitektur erweiterten das innere Reich der schwe- 
benden Bild-Assoziationen, von den ınspirierten 
Katalogautoren angekurbelt. Wie hoch unser Fessel- 
ballon der Phantasie 1998 im Haus der Kunst in Mün- 
chen und in der Nationalgalerie Berlin fliegt, ist zur Zeit 
höchst ungewiss. GM 
AUSSTELLUNGEN IM GRAPHISCHEN KABINETI 
Das Jahresprogramm im Graphischen Kabinett bestand 
aus zwei unbeabsichtigten, sich überlappenden Tri- 
logien. Zunächst wurden drei jüngere englische Künst- 
lerinnen und Künstler vorgestellt: Gillian Wearing, 
Callum Innes und Simon Patterson. Letzterer eröffnete 
zugleich die dreiteilige Serie mit Wandzeichnungen, die 
sich mit Maria Eichhorn und Gary Simmons fortsetzte. 
Gillian Wearing 
Die 1963 in Birmingham geborene und heute in London 
arbeitende Gillian Wearing ist eine der bedeutendsten 
englischen Videokünstlerinnen der neunziger Jahre. Die 
Sprache ihrer Videowerke ist im Bereich zwischen Doku- 
mentarfilm und reality show anzusiedeln. Mit Voyeuris- 
mus hat diese Arbeit nichts zu tun. Das bewusste Wahr- 
nehmen von Privatem und Intimem stellt vor allem uns 
selber in Frage, erzeugt Unbehagen - Obszönität — vor 
uns selbst. Gillian Wearing verlangt vom Betrachter ihrer 
Videos ein Risiko ab: Das Risiko, sich in seiner mensch- 
lichen Mediokrität zu erkennen. Die Künstlerin stellte 
im Graphischen Kabinett vier Arbeiten aus: drei Video- 
installationen und ein Band, das das Kunsthaus 1996 
erworben hat. Eine räumlich, zeitlich (Gesamtdauer: 
10 Tage) und atmosphärisch sehr konzentrierte Aus- 
stellung. Gillian Wearing gewann im Dezember 1997 
den begehrten Turner Prize und stellte in der Londoner 
Tate Gallery aus.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.