Volltext: Jahresbericht 2004 (2004)

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on. Claude arbeitete lange und intensiv an se inen 
Gemälden; stets bedrängten ihn ungeduldige Auftrag- 
geber aus höchsten Kreisen und ihre A genten. Er konn- 
te es sich nicht l e isten, ein grosses, zeitaufw ändiges 
Bild für sich se lbst und die Se inen zu mal en, und so 
konzentrierte er sich auf eine kl eine Kupf e rtafel. 
Als das Gemälde 1987 in einer V ers teigerung in 
Schwede n wieder auftauchte, wurde es von Marcel 
Roethlisberger, der den Werkkatalog Claudes v erfas s- 
te und der beste Kenne r s eines Werkes ist, sogleich in 
se iner Bedeutung erkannt und mit einer Radierung 
gl eichen Themas und deren V orzeichnung, beide 1662 
datiert, in Verbindung 
gebracht.8 
Dank diese n inte nsi- 
ven Vorarbeiten vereinigt das Bild eine ungewöhnlich 
heitere Leichtigkeit der Ausführung mit einer streng 
durchk omponierten Fügung aller Elemente: Claude 
hatte bereits bis ins Detail die Wirkung der einze lnen 
Motive, die Mas s env erteilung und die Rhythmen 
erpr obt und konnte jetzt all dies steigern und präzisie- 
ren. Die Figurengruppe wird grösser – es ist die gröss- 
te im Verhältnis zum Bildganzen bei Claude – und 
exakter von dem schafbesäten Wies enrück en über- 
w ölbt, hinte r dem sich eine weitere Ferne öffnet. Das 
Wäldchen links wird der Sakrallandschaft r echts pro- 
noncierter entgegengesetzt; erst jetzt treten die bei- 
den Rundtempelchen, die Säulen und der Bergrücken 
mit dem Wasserfall zu einer in Raum und Fläche spre- 
chenden Gestalt zusammen. 
Die Radierung trägt als einzige Claudes eine 
Inschr ift: «Apollo in atto di obedir e al tempo. la Prima- 
vera a cominciare il ballo. L ’estate non manca del suo 
calore. L ’autunno col suo licuore s eguita. L ’inverno tie- 
ne la sua 
s taggione. »9 
Die vier Jahreszeiten sind durch 
ihre Gew änder und die Kränze in ihren Haaren charak- 
terisiert; der Winte r gr eift zum blauen Band des Früh- 
lings und schliesst so den Kreis. Die Hauptgr uppe der 
für einen Betrachter des 17. Jahrhunderts unschwe r 
zu entschlüsselnden Allegorie beruht auf einem Holz- 
schnitt in dem verbreiteten ikonographischen Hand- 
buch von Vincenzo Cartari «Le Imagini de i Dei de gli 
antichi » von 
1571.10 
Apoll o bestimmt als Sonnengott 
den Wechsel der Jahreszeiten, repräsentiert durch die 
Horen, die zugl eich allgemein als die Verkörperung 
des Wachsens, Blühens und Reifens in der Natur gal- 
ten. So wurden sie auch mit den Grazien gleichgesetzt: 
Beide Bedeutungse b e nen dürften Claude bes onders 
angesprochen haben. Für die Gestaltung des Gottes 
ori e ntierte er sich an der Apoll o -Statue im Hof des 
Bel veder e des V atikans , dem klassischen Vorbild 
männlicher Schönheit. Er steht genau in der Mitte des 
Bildes, überwölbt von einer weissen Wolke; als Gott 
des Lichtes – für Claude das wichtigste Ausdruc k smit- 
tel – scheint er das ganze Gemälde mit bl onder Hellig- 
keit zu erfüllen – mittäglich leuchtend, während Clau- 
de sonst meistens Morgen- oder Abendstimmungen 
bevorzugt. Nur hinter Chr onos liegt als gliedernder 
Kontras t, aber auch als Ausdruckswert zusammen mit 
der düsteren Höhle, ein dunklerer Wolkenschatten. 
Ungew öhnlicher als Apoll und die Horen ist das 
ander e ikonographische Element: der geflügelt e Gott 
Chronos, die Pe rso ni fikation der Zeit, die früh mit dem 
alten Götterva ter Kr onos vermischt wur de, der seine 
eigenen Kinder verschlingt, aber auch Recht und 
W ahrheit e nthüllt. Normal erweise mit einer Sense und 
anderen Zeichen der V er gänglichk eit ausgestattet, 
greift er nur hier und in einem eng verwandten Gemä l- 
de von Nicolas Poussin in die Saite n einer Lyra, A polls 
I ns trument, und ev oziert so die Sphärenharmonie. 
Nach der V orstellung der Pythagorä er entsteht diese 
durch die Bewegung der Himmelskörper, die ebens o 
wie die Tonleiter nach Mass und Zahl geordnet sind; 
doch da sie stets erklingt, nehme n sie die Menschen 
nicht wahr. Das ein Vierteljahrhundert früher entstan- 
dene Bild Poussins zeigt statt der Jahreszeiten das 
Schicksal des Menschen im Rundta nz von Armut, 
Arbeit, Reichtum und Vergnügen in grossen Figuren, 
während Apoll und sein Gefo lge auf dem Sonnenwa- 
gen im Himmel schwebt; Chronos sitzt ähnlich wie bei 
Claude im Profil vorn 
rechts.11 
Das Konzept stammte vom Auftraggeber Giulio 
Rospigliosi (1600–1669), dem nachmaligen Papst Cle- 
mens IX. Er gehörte auch zu den Förderern Claudes, 
der ihm in seinem T estament zwei Zeichnung e n 
zudachte; der E ntwurf zum «Tanz der Jahreszeiten» Jahreszeiten»
	        
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