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on. Claude arbeitete lange und intensiv an se inen
Gemälden; stets bedrängten ihn ungeduldige Auftrag-
geber aus höchsten Kreisen und ihre A genten. Er konn-
te es sich nicht l e isten, ein grosses, zeitaufw ändiges
Bild für sich se lbst und die Se inen zu mal en, und so
konzentrierte er sich auf eine kl eine Kupf e rtafel.
Als das Gemälde 1987 in einer V ers teigerung in
Schwede n wieder auftauchte, wurde es von Marcel
Roethlisberger, der den Werkkatalog Claudes v erfas s-
te und der beste Kenne r s eines Werkes ist, sogleich in
se iner Bedeutung erkannt und mit einer Radierung
gl eichen Themas und deren V orzeichnung, beide 1662
datiert, in Verbindung
gebracht.8
Dank diese n inte nsi-
ven Vorarbeiten vereinigt das Bild eine ungewöhnlich
heitere Leichtigkeit der Ausführung mit einer streng
durchk omponierten Fügung aller Elemente: Claude
hatte bereits bis ins Detail die Wirkung der einze lnen
Motive, die Mas s env erteilung und die Rhythmen
erpr obt und konnte jetzt all dies steigern und präzisie-
ren. Die Figurengruppe wird grösser – es ist die gröss-
te im Verhältnis zum Bildganzen bei Claude – und
exakter von dem schafbesäten Wies enrück en über-
w ölbt, hinte r dem sich eine weitere Ferne öffnet. Das
Wäldchen links wird der Sakrallandschaft r echts pro-
noncierter entgegengesetzt; erst jetzt treten die bei-
den Rundtempelchen, die Säulen und der Bergrücken
mit dem Wasserfall zu einer in Raum und Fläche spre-
chenden Gestalt zusammen.
Die Radierung trägt als einzige Claudes eine
Inschr ift: «Apollo in atto di obedir e al tempo. la Prima-
vera a cominciare il ballo. L ’estate non manca del suo
calore. L ’autunno col suo licuore s eguita. L ’inverno tie-
ne la sua
s taggione. »9
Die vier Jahreszeiten sind durch
ihre Gew änder und die Kränze in ihren Haaren charak-
terisiert; der Winte r gr eift zum blauen Band des Früh-
lings und schliesst so den Kreis. Die Hauptgr uppe der
für einen Betrachter des 17. Jahrhunderts unschwe r
zu entschlüsselnden Allegorie beruht auf einem Holz-
schnitt in dem verbreiteten ikonographischen Hand-
buch von Vincenzo Cartari «Le Imagini de i Dei de gli
antichi » von
1571.10
Apoll o bestimmt als Sonnengott
den Wechsel der Jahreszeiten, repräsentiert durch die
Horen, die zugl eich allgemein als die Verkörperung
des Wachsens, Blühens und Reifens in der Natur gal-
ten. So wurden sie auch mit den Grazien gleichgesetzt:
Beide Bedeutungse b e nen dürften Claude bes onders
angesprochen haben. Für die Gestaltung des Gottes
ori e ntierte er sich an der Apoll o -Statue im Hof des
Bel veder e des V atikans , dem klassischen Vorbild
männlicher Schönheit. Er steht genau in der Mitte des
Bildes, überwölbt von einer weissen Wolke; als Gott
des Lichtes – für Claude das wichtigste Ausdruc k smit-
tel – scheint er das ganze Gemälde mit bl onder Hellig-
keit zu erfüllen – mittäglich leuchtend, während Clau-
de sonst meistens Morgen- oder Abendstimmungen
bevorzugt. Nur hinter Chr onos liegt als gliedernder
Kontras t, aber auch als Ausdruckswert zusammen mit
der düsteren Höhle, ein dunklerer Wolkenschatten.
Ungew öhnlicher als Apoll und die Horen ist das
ander e ikonographische Element: der geflügelt e Gott
Chronos, die Pe rso ni fikation der Zeit, die früh mit dem
alten Götterva ter Kr onos vermischt wur de, der seine
eigenen Kinder verschlingt, aber auch Recht und
W ahrheit e nthüllt. Normal erweise mit einer Sense und
anderen Zeichen der V er gänglichk eit ausgestattet,
greift er nur hier und in einem eng verwandten Gemä l-
de von Nicolas Poussin in die Saite n einer Lyra, A polls
I ns trument, und ev oziert so die Sphärenharmonie.
Nach der V orstellung der Pythagorä er entsteht diese
durch die Bewegung der Himmelskörper, die ebens o
wie die Tonleiter nach Mass und Zahl geordnet sind;
doch da sie stets erklingt, nehme n sie die Menschen
nicht wahr. Das ein Vierteljahrhundert früher entstan-
dene Bild Poussins zeigt statt der Jahreszeiten das
Schicksal des Menschen im Rundta nz von Armut,
Arbeit, Reichtum und Vergnügen in grossen Figuren,
während Apoll und sein Gefo lge auf dem Sonnenwa-
gen im Himmel schwebt; Chronos sitzt ähnlich wie bei
Claude im Profil vorn
rechts.11
Das Konzept stammte vom Auftraggeber Giulio
Rospigliosi (1600–1669), dem nachmaligen Papst Cle-
mens IX. Er gehörte auch zu den Förderern Claudes,
der ihm in seinem T estament zwei Zeichnung e n
zudachte; der E ntwurf zum «Tanz der Jahreszeiten» Jahreszeiten»