und erl euchten. Damit dies geschehe n kann, sucht er
die sichtbaren Dinge unsichtbar zu machen, zu tra ns-
zendieren oder «aufzuheben» und die Welt, die unsicht-
bar ist, d.h. ihre Kräfte, Rhythmen, Ener gien, in
Erscheinung treten zu lassen.
Das Mittel, in dem sich die Ba lance von absoluter
Malerei und Abs traktion von Natureindrücken voll-
zieht, ist der Pinselstrich oder -abdruck, die Begeg-
nung des Malers und s eines Körpers durch den Pins el
und die F arbmaterie mit dem Bildgr und und dessen
virtuellem Raum. Die subjektive Ener gie und indivi du-
elle Handschr ift gehen in eine kosmische Dynamik ein.
In einem ge stischen Gleichnis, einer symbolischen
Handlung v er deutlicht Lee Ufan das Gemeinte: In
einem Bergbach setzt er mit dem Wasser seine Pin-
se lzüge auf die Ste ine. Trotz dem v öllig modernen
Di ngcharak ter des abstrakten Grossgemäldes fühlt
man sich denn w eniger an Pollock als an c hines ische
Tuschmalerei erinnert. Ufan wuchs in Korea bei sei-
nem Grossvater auf dem Lande auf und wurde hier von
einem Meister in die Kalligrafie eingeführt. Das innere
Er füllts ein des Pins elduktus im Ra hmen des traditio-
nell Vorgegebenen und nicht hektische Individ ua lis-
men werden angestrebt. Nach langen Jahren der
Aus bildung , in der das Stud ium der Philosophie und
die Kunstkritik im Vordergrund st anden, setzt das reife
künstlerische Werk mit zwei grösseren Serien ein, die
in minimalis tischer Reduktion ihre Inte nsität aus jener
verinnerlichten Fähigkeit und as k etischen Disziplin
schöpfe n. «Von P unkt» betitelt e Bilder zeigen R eihen
von einzel nen Pinselabdrück en, die parallel zur Abnah-
me der Farbe im Pinse l lichter werden; «Von Linie»
heissen Werke, in denen Folgen von Pins elzüge n ihre
Farbladung ausl aufen lassen. Die quadrat- oder bienen-
korbähnlichen, in sich ruhenden Punkt e weis en auf die
Existenz, die einen Zeitverlauf verdeutlichenden L inien
auf das Lebe n.
In den achtziger Jahren beginnen sich die syste-
matischen Strukturen von P unkten und Linien aufzu-
lösen und zu vermischen und führ en zu einer neuen
Werkgruppe: «Von Wind» oder «Mit Winden». Er inner-
ten die früheren Arbeiten an Zero oder Minimal Art, so
scheint sich Lee Ufan nun dem Informel zu nä hern.
Gleichzeitig öffnet sich der virtuell e Raum der Bild-
fläche; die atmende Dynamik des Pinselwerks s teigert
und verdichtet sich. Das Gemälde des Kunsthauses
bildet den Höhe- und W endepunkt diese r Entwic k lung.
Anschliessend kehrt Ufan zu einzel nen Markierungen
zur ück; die ab 1992 entstehende «Corr es pondance »-
Serie lebt aus den Spannungen zwischen eine m, zwei
oder höchs tens drei isolierten grossen Abdrücken und
dem Bildgr und. Nur in wenigen Gemälden deckt Lee
Ufan wie hier die Leinwand weitgehend mit Farbe, so
dass eine mit westlichen Werken vergleichbare räum-
liche Kohärenz entsteht. Umso deutlicher wird der
ganz eigene, zwischen bewegter Oberfläche und
atmende m Raum schwebende Charakter dies er Male-
rei. Eine luftige Aufwärtsbewegung zieht von links in
diagonalen Feldern und Bahnen nach oben; umge-
kehrt strömt es im unteren rechten Bilddr itte l wie
Wasser in einem Ber gbach nach unte n. Fast fühlt man
sich an e ntspr echende Bilder von Hodl er erinnert. Der
weiche, endl os modulierte Pinselstrich hat ni chts von
der technischen Perfektion und Spannung des Hand-
werks, wie bei Ryman, s ondern etwas naturhaft Erfüll-
tes. Schon die pastos fliessende Farbmaterie lässt
ihren Ursprung aus Wasser und Steine n spür en; eher
als an industrielle Tubenfarben denkt man an die
Sc hla mm-Subs tanz von Richard Longs «Mud Pain-
tings», bei dem die «Natürlichk eit» allerdings wieder
etwas Konzeptuelles und Absichtsvoll es a nnimmt. Es
gibt denn hier auch kein «Prinzip » zu entdecken, wie in
vieler westlicher Malerei. Vielmehr sinkt der Blick und
die Aufmerksamkeit in einen pulsierenden Raum ein,
näher dem Quel lpunkt des flieh enden Lebens und der
Auflös ung ins Nirwana .
Christian Klemm
Die Sc hriften Lee Ufans, insbesondere seine aphoristischen Bemer-
kungen, sind über ihren Zeugniswert für seine eigen e Kunst eine sehr
anregende Lektüre. Hier benützt: Lee Ufan: Selec ted Writings (Lon-
don, Lisson Gallery, 1996) S. 13, 10; neuere Überset zung: Lee Ufan:
Un art de la rencontre (Arles, Actes Sud, 2000) 78