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Unser Geist hat den Gott gedichtet,- aber er vermag ni<ht Gott zu sein, und der Ewige
verbirgt si<h. Wir sind Menschentiere und möchten unser Fleisch in blutige Fetzen reißen
weil wir Höheres wissen, als wir sind.
»Warum zeugt man uns wie Tiere,
Uns von Götterstamm und Menschenart?
Braucht der Geist ein andres Kleid nicht
Als das hier aus Blut und Schmutz?«
So schwankt er, im Leben, im Traum, in der Lehre, im Dichten: bald ist er der harte
Menschenzüchter, bald der Gepeinigte, der von der Weltordnung, vom Gott-Teufel als
Erzieher gezüchtigt wird/ bald schreit er auf: »Alles ist berechtigt außer mir!«, bald neigt
er sich liebend erbarmungsvoll zu den Menschen und klagt für alle Schlechtigkeit das Welt
regiment, »die Verwaltung«, an. Andere Pessimisten schon haben ihr böses, leidendes
Denken an ihr äußeres und inneres Leben angeknüpft/ er aber muß weiter gehen: er zieht
rasche, sprunghafte Schlüsse aus einzelnen Vorfällen und Zufälligkeiten nicht nur, sondern
wahrhaft aus Halluzinationen. Auch andere haben in Bildern gesprochen und haben grauen
hafte Bilder gefunden / er aber erlebt diese Bilder als leibhafte Wirklichkeit, und wenn er
etwa sagt: »Zwei Wesen lenken meine Geschidce: das eine gibt mir alles, was ich wünsche,
das andere steht dabei und streicht Schmutz auf die Gabe«, so erlebt er das genau so stark
mit allen Nerven und Sinnen, wie ein schmatzendes Kind das Butterbrot, das die Mutter
ihm geschmiert hat. Ja, so ist es: mit dem Leid und dem Ekel zusammen hat er nicht bloß
geschlafen, sie sind ihm Speise und Trank gewesen.
Auch er war nicht allzeit ohne Trost, weil er sonst nicht hätte leben können, und er hat
nach allen Verzerrungen und Krämpfen immer wieder sanft und freundlich mit den Menschen
gelebt. Sein Trost war dann eben, daß er gewahrte, wie zwischen der starken Logik des
Denkens und der Logik der Geschehnisse ein Zusammenhang, wie hinter allem Zwiespalt
eine unergründliche, aber manchmal hell scheinende Einheit war. Die Logik war ihm dann
Tröster und Gott, der ihn auch mit den Menschen, selbst mit den kleinen, dummen, bösen,
und mit der Kausalität und Determination der Natur versöhnen konnte. Denn schließlich
sagte ihm die Logik, daß die Bösen eben wegen ihrer Bosheit sehr arm seien, und daß es
ihnen eine Erlösung sein müsse, um ihre Bosheit zu wissen und zu erkennen, daß sie gar
nicht schuld an ihrer widerwärtigen Trübung seien.
Das war sein Trost für die Welt, die er sehen und ertragen mußte. Für sich selber hatte
der adlige Mann einen hochmütigeren, und sein Stolz gestattete ihm nicht, sich mit der
Unentrinnbarkeit ererbter Natur zu entschuldigen: sich nahm er ganz alttestamentarisch
wie einen Hiob oder ganz mythisch wie einen Herakles. Von dem Christus, der das Leid
der Welt auf sich genommen, ließ er sich fast noch öfter und stärker abstoßen als anziehen:
er, Strindberg, war einer, der selber leiden wollte, und woran leidet man stärker als an den
eigenen Sünden? Das war doch noch nicht der Rechte, der Christus, der selber sündlos blieb
und für die andern litt / er, Strindberg, war der Antichrist, der leidende Sünder, der wie
eine zündende Rakete flammend aus dem Tier, das er war, zu dem Gott, der er war, empor
stieg und mit all seiner Hölle gen Himmel fuhr.
Gustav Landauer