Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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Sagan nämlich, der inzwischen längst zu seinen Vä 
tern versammelt ward — band er das kecke Märchen 
anf, daß jedes neugebaute Kriegsschiff ein neues Ge 
wicht in der Wage des Freihandels sei. Den National- 
liberalen versprach er ein großes Kolonialreich, den 
Konservativen sagte er zu, bei passender Gelegenheit 
den Engländern und den Yankees eins auszuwischen, 
und selbst für die Sozis von der zahmeren Sorte hatte 
er ein paar Präsente auf Lager: ein bißchen harmlose 
Sozialpolitik (ja nicht zu weitgehend, denn das hätte 
wieder anderswo angestoßen!) und eine nicht üble 
bodenreformerische Landordnung für Tsingtau. 
Hätte er nicht seinen Marinerock getragen: man 
hätte den Mann mit dem langen Barte (wie ihn in die 
sen Dimensionen nur noch etwa Arthur Stadthagen 
besitzt) für den erfolgreichen Handlungsreisenden 
eines großen Hauses halten können. 
Und in der Tat: er hat etwas vom Hanldlungsr eis en 
den an sich und er hat reüssiert in seinem Fache, das 
schließlich, trotz hohen Aemtern und Würden und 
Orden und dem prunkenden Titel eines Großadmirals, 
mit dem eines Reklamechefs ziemlich viel Aehnlichkeit 
hatte. 
Tirpitz „machte“ in Flottenvermehrung. Für diese 
— in immer vergrößertem Maßstabe — Parlament und 
Publikum zu kirren, war er von seinem Dienstherrn 
berufen worden. Ein gewisser Instinkt warnte bis 
Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts 
das deutsche Volk, sich dem Wassermilitaris'mus allzu 
schrankenlos hinzugeben. Zwar wurde schon immer 
bei passenden und unpassenden Gelegenheiten dekla 
miert: 
„Michel, horch’, der Seewind pfeift!“, 
aber von den großen Parteien waren eigentlich nur 
die Nationalliberalen wirklich flottenbegeistert. Die 
Sozialdemokraten, antimilitaristisch aus Prinzip, hatten 
natürlich ebenso wenig Lust, dem Wassermoloch, zu 
opfern, wie dem Landmoloch. Bei den Fortschrittlern 
war noch die gute alte antimilitaristische Tradition 
der Konfliktszeit lebendig, und außerdem lebte noch 
der grimme Recke von Hagen, Eugen Richter, und sah
	        
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