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ergänzend auf Heinz Potthoff verweisen, der im Falle
einer Hungersnot die Tötung aller Kriegsgefangenen
und die Vertreibung der Bevölkerung aus den besetzten
Gebieten empfahl; auf Höckels schmählichen Aufruf
„Englands Blutschuld“ und auf andere mehr. Sie alle
zeigen die völlige Konfusion aller moralischen Be
griffe innerhalb einer bestimmten intellektuellen Ge
sell s ch a f tss cbi cb t.
Parallel hierzu läuft die moralische Desorganisa
tion der Masse. Während des nunmehr dreijährigen
Krieges ist um das deutsche Volk eine chinesische
Mauer von Verordnungen, Verfügungen und Verboten
von solch ansehnlicher Stärke entstanden, daß es dem
Volk unmöglich wird, darüber hinaus einen Blick in
die Welt zu senden. Der Horizont des ideutschen Poli
tikus erschöpft sich an der Repetition seiner kümmer
lichen geographischen Schulkenntnisse.
Der Belagerungszustand, der die Reglementierung
des gesamten Volkes bedingte, konnte sich nur be
haupten, weil dem deutschen Volk die politische
Schulung, die politische Verantwortlichkeit fehlt und
es deshalb der Staatsgewalt als Polizeiorgan bedurfte.
Gerade aber diese politische Reglementierung hat
bei der langen Dauer des Krieges den moralischen
Zusammenbruch beschleunigt. Der kategorische Im
perativ der öffentlichen Ordnung lautet „Gefängnis
— Zuchthaus — Todesstrafe“. Auf riesigen roten Pla
katen drohen diese Worte von den Anschlagsäulen im
Berliner Norden, der Schattengegend der Licht- und
Residenzstadt des Deutschen Reiches.
Die Verwahrlosung der Jugend, über welche be
sonders die konservative Presse spaltenlang zu zetern
wußte, entspricht, soweit sie überhaupt Tatsache, der
gesellschaftlichen Verwahrlosung im allgemeinen. Es
ist nicht mehr als eine logische Rückwirkung, daß die
hervorstechendsten Momente des Krieges, Perversität,
Brutalität, Roheit, Verkommenheit und Zügellosigkeit,
wie sie uns alle Kriegsberichterstatter im Gemisch
nationaler Glorifizierung und humaner Sentimentali
tät im Morgen- und Abendblatt servieren, ihren Re
flex in der Oeffentlichkeit in der Steigerung der krimi