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dem fremden Nutzen versöhnende Politik braucht sich
nicht zum Träger fremJder Geheimnisse zu machen.
Was aus solcher Geheimniswirtschaft herauskommt,
zeigen mit blendender Helle die heutigen gräßlichen
Zeiten.
Gewönne die Diplomatie eines Staates es über sich,
ihre Absichten und Pläne freimütig dem eigenen und
dem fremden Volke zu offenbaren, handelte sie stets
so, wie sie es versprach, so würde sie sich einen solchen
Rückhalt zu Hause und ein solches Vertrauen draußen
erwerben, daß ihr bald alle andern Staaten aus eigen
stem Interesse auf dieser Bahn nachfolgen müßten.
Ein freimütiges Auftreten ist allerdings nur mög
lich, wenn nicht die absolutistische Idee von der All
macht des Staates, sondern der volksbeglüokende Ge
danke der Solidarität aller Völker das öffentliche Le
ben beherrscht. Muß die Göttin der Freiheit ihr
Haupt noch schmerzlich verschleiern, so kann die tief
in der Volksseele schlummernde Erkenntnis der Zu
sammengehörigkeit aller Menschen keine Blüten trei
ben. Kant nennt daher die republikanische Verfas
sung als die einzige, die zum ewigen Völkerfriejden
führen kann, da in ihr der Wille des Volkes am besten
zum Ausdruck kommt. Aber auch eine Monarchie mit
wirklicher Parlamentsregierung könnte dieses Wunder
wohl verrichten, vorausgesetzt, daß die von Kant ver
langte „Beistimmung der Staatsbürger zur Entschei
dung' über Krieg und Frieden“ auf alle Fälle gesichert
ist. Dazu gehört allerdings, daß die Volksvertretung
an der Führung der auswärtigen Geschäfte ständig
lebendigsten Anteil nimmt. Nur ein bereits im Frie
den gut unterrichtetes Parlament wird in bewegter
Zeit schnell richtige Entschlüsse fassen.