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DIE BEDEUTUNG DER SCHULDFRAGE
vom Verfasser des Buches „J’accuse“.
(Nummern 43 und 44, 8. und 12. September 1917).
I.
Man 'hört neuerdings von manchen Seiten den Ge
danken äußern, die Schuldfrage, das iheißt die Frage:
Wer ist schuldig, den europäischen Krieg herhei-
geführt zu haben 1 ?, interessiere heute, nach mehr als
dreijähriger Kriegsdauer, nicht mehr in demselben
Maße wie damals, als mein Anklagebuch erschien. Die
Gründe, die man für diese Auffassung vorbringt, sind ver
schiedene. Die einen — ich möchte sie die Gruppe der
Aufgeklärten nennen — halten die Schuld der Kaiser
mächte für so klar erwiesen, daß ihnen jede fernere Er
örterung überflüssig erscheint. Nun, die Regierungen
der kriegführenden Länder selbst sind offenbar an
derer Ansicht; sie legen sämtlich — ohne Ausnahme
— der Sehuldfrage eine so große Wichtigkeit bei, daß
sie beständig mit neuen Publikationen diplomatischer
Dokumente herauskommen und unausgesetzt durch den
Muhd der leitenden Minister oder die Feder ihrer
Offiziösen die Schuld an dem Kriegsausbruch auf die
Gegenseite abzuwälzen suchen. Diesem Redefluß der
Regierungen entspricht der Tintenerguß ihrer be
zahlten uhd unbezahlten Lohnschreiber. Die Literatur
über die Sehuldfrage wächst und wächst, und jede neu
herauskommende Tatsache, jede neue Beleuchtung be
kannter Tatsachen Wird von Publikum und Presse
begierig verschlungen, wird von jeder Seite als An
klagematerial zu Lasten der Gegenpartei auszunützen
versucht. Die Regierungen also, ebenso wie die Völker,
halten die Sehuldfrage keineswegs für „überholt“ oder
für uninteressant geworden.
Neben der jetzigen Generation aber hat auch die
Geschichte ein Recht, die Wahrheit über das größte
Verbrechen der Weltgeschichte festzustellen. Wer heute
die Schuldfrage in wissenschaftlich-dokumentarischer