Full text: Zeit-Echo (3(1917), 1. und 2. Maiheft)

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dem Eindruck Georges. Romain Rolland, wie jeder wirklich grossmütige 
Mensch, nimmt im vorhinein an, dass eine erhobene Sprache nur aus einer 
erhobenen Menschlichkeit kommen kann. Wär es nicht schön, zu finden, dass 
einmal wenigstens die Sprachformer einer Nation für die Menschheit fühlten? 
Das würde die Erde ihren Kündern in ewiger Dankbarkeit gedenken. Denn 
seit dieser Krieg herrscht, haben die Dichter von Namen uns Mitmenschen 
im Stich gelassen, sie haben sich von der Attitüde plumpster Monumental 
representation treiben lassen, und sie wetteiferten mit den Maschinen, um 
den Todeskrampf der Völker gewaltsamer noch zu stacheln. 
Aber wir, in unserer höchsten Not, wir müssen endlich einmal das Dichter 
wort anschauen, ob es Rückgrat der einfachsten, unumgänglichsten Menschlich 
keit ist. 
Der einzige Band, der während des Krieges erschien, der vom Ende des 
Jahres 1914, sei geöffnet bei einem Verszyclus, der den auffallenden Titel 
„Staatsgedichte“ trägt. 
Da steht: 
Das Menschentum, das deutsches Wesen schafft 
Geduldig bis zur Trägheit, schwer vor Fülle, 
Unscheinbar hinter Zucht und Wucht und Hülle, 
Bricht nun aus dem bedrohten Herd als Kraft, 
Die alle Schlacken auswirft und verschweisst. 
0 Volk, geprüft durch Feind und eigne Schänder, 
Geheimer Kern und Ausbund aller Länder, 
Wie bist du wieder Erz und Glut und Kraft! 
Also ganz simple alldeutsch-treitschkeartige chamberlainhafte Kriegslyrik 
(ohne Angabe des Verfassers, wie alle Beiträge des Bandes). 
Man fragt, wer sind die „eignen Schänder“ des deutschen Volkes. Der 
namenlose Dichter gibt an einer andern Stelle Auskunft. Er sagt in, von ihm 
gesetzten, höhnischen Anführungszeichen: 
,,/sf’s nicht die Pflicht der Seher und der Fürsten 
Geduld zu haben mit dem untern Dürsten, 
Den Tisch zu öffnen für die dumpfen Haufen, 
Die sich um Brot mit heftigen Armen raufen, 
Gezeugt durch Not; dass Zahl die Not vermehre: 
Die Ausgeburten gnadenloser Nächte, 
Die für uns frohnden in dem Qualm der Schächte?“ 
Dieser Dichter meint also: nein, das sei nicht Pflicht. Doch er ist zudem 
falsch informiert. Er will offenbar den Demokratismus treffen. Aber die 
von ihm genannte Forderung, nämlich die Gnade, dass Minister und Fürsten 
„Geduld“ mit dem Unterdrückten haben und ihm geschenkweise den „Tisch 
öffnen“ mögen, also das Leben geschenkweise gewähren mögen: Dieses 
kindliche Programm wagt nicht einmal mehr der bösartigste agrarkonser 
vative Politiker auszudenken. Selbst der ärgste Idiot weiss, dass die aller 
geringste Forderung Geschenke abzulehnen hat und mit dem Begriff „Rechte“ 
beginnt. Nur der „Dichter“ darf bei uns ahnungslos sein!
	        
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