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Das Finanzwesen zur Zeit
der Diktatur des Proletariats
(Fortsetzung.*)
Es ist sehr schwierig und gefährlich, den Propheten zu spielen in bezug auf
die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines elementaren Krachs unserer Währung. *
Kein ernster Volk/siwirt würde sich untierfangen, hier etwas in kategorischen
Ausdrücken vorauszusagen, weil noch nie in der Welt ein Beispiel andauernder
Existenz einer sozialistischen Wirtschaft neben privatwirtschaftlicher Kleinproduk
tion dagewesen ist. So lehrreich der Versuch Ungarns auch war, er war zu kurz
und gibt uns für die Antwort auf unsere Frage nicht genug Material. Wenn wir
aber theoretisch erwägen und auf Grund unserer Erfahrung urteilen, so kann
man für weit wahrscheinlicher halten, daß bei entsprechenden Finanzreformen
seitens des Staates, die den Bedürfnissen des etwas bürgerlichen Kleinhandels ent-
gegenkommen, unsere Währung keinen Krach erleiden wird. Die in der Entwicke
lung begriffene Kleinwirtschaft braucht Umlaufsmittel in steigendem Maße, selbst
wenn sie sich neben der großen sozialistischen Industrie entwickelt. Sie kann nicht
mit dem während der Kriegszeit versteckten Metallgeld und dem einfachen Natura
lienaustausch allein auskommen, gar nicht zu reden davon, daß der Krach des
Papiergeldsystems selbst bei einem so niedrigen Stande des Rubels, wie bei uns,
für Millionen von Warenproduzenten den fast vollkommenen Vertust ihrer Ein
künfte bedeuten würde. In Rußland gibt es keine unbeschränkte Reisefreiheit auf
der Eisenbahn und keine „freien“ Frachten, die Uebersendung von Papiergeld aber
wird überall durchaus frei von allen Postanstalten ausgeführt; Der Austausch von
kubanschem Getreide gegen moskauer Baumwollzeug, von Speck aus der Ukraine
gegen Salz aus Perm usw. kann viel leichter gegen Geldwertzeichen, als ohne die
selben durchgeführt werden. Ferner darf nicht vergessen werden, daß jetzt auch
der Staat nicht nur den direkten Warenaustausch im großen Maßstabe betreibt,
sondern auch als Händler mit der Bauernschaft in Verbindung tritt, wozu er Geld
gebraucht. So sind denn mehr Aussichten dafür da, daß unsere Währung
keinen Krach erleidet.
Wenn sie dennoch einen Krach erlitte, so würde das dem Staat für eine gewisse
Zeit ernstliche Schwierigkeiten verursachen, aber bei, der bereits erreichten Stufe
sozialistischer Verteilung würde die Sowjetregierung damit fertig werden und würde
die papiergeldlose Epoche zur Einführung einer neuen Währung benutzen, ohne die
die Kleinindustrie ohnehin nicht leben kann.
Ich werde nicht davon sprechen, wie wir bei einer solchen Wendung der
Dinge aus der Schwierigkeit herauskommen könnten. Das würde uns zu weit
führen und es ist deshalb auch unnütz, gerade jetzt davon zu sprechen. Ich kann
nur sagen, daß unsere Finanzpolitik auch damit, auch mit dieser Möglichkeit
rechnet und nicht überrascht werden wird.
V. Die Lehren unserer Finanzerfahrung.
Zum Schlüsse müssen wir unseren ausländischen Genossen noch einige Worte
über die Lehren, die wir aus unserer Finanzpraxis gezogen haben, sagen. Die erste
*) Siehe Gegner II, 10/11, 12.