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Das Wort und das Bild.
über die Hügel herunter. Jetzt weiß ich doch auch, wohin man
aus Zürich noch flüchten kann: in den Tessin.
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Emmy findet, die deutsche Sprache sei arm an Vokabeln der
Zärtlichkeit und Verliebtheit. Die dänische sei darin unendlich
reicher. Gespräch über Grazie, früh um fünf Uhr. Sie ist jene
tausendfältige Erfindung von kleinen schmückenden, schenkenden
und bereichernden Zärtlichkeiten. Begütigung in jedem Augen
blick. Ein kleiner beständiger Aufwand, eine Erfindsamkeit um
des Zierats willen. Alles Bosseln und Spielen schafft Grazie,
und alle Grazie verbindet, verpflichtet. Wer bosselt, hat in jedem
Augenblick Dinge bereit, die er Verschenken kann. Das huma
nisiert die Beziehungen, verursacht ein Wiederschenken, Gespräch,
Unterhaltung. Grazie ist das eigentliche Lebenselement produk
tiver Naturen. Vielleicht ist Produktivität selbst nur eine Grazie.
Gratiae gratis datae ... Man betont im Deutschen zu sehr den
Willen, die Konstruktion. Ja man legt sogar Wert darauf, derb
und ungraziös, also unproduktiv zu sein. Deshalb verpflichtet
man sich niemanden und findet keine Sympathien.
Mit der Grazie ist die höfliche Einstellung zur Umgebung eng
verbunden. Es muß nicht jede Kleinigkeit wahr und richtig sein;
man sagt aus Höflichkeit, aus Grazie mitunter auch etwas, was
nicht richtig ist: um sich anzugleichen. Wer gegen die Grazie
spricht, kann sich nicht selbst gefallen; denn es bedarf der Grazie
auch gegen das eigene Innere, gegen die liebe Seele, die oft so
verstimmt ist, daß nur die Grazie noch sie erheitern und auf
muntern mag. Man darf sich nicht selber als Polizist behandeln.
Der Mangel an Grazie macht mürrisch und verdrießlich. Lebendig
keit und Grazie sind fast identisch. Das Leben will nicht nur
zu gewissen Zeiten, sondern in jedem Moment geformt, durch
liebt und durchlichtet sein. Die unverdaulichen Vorkommnisse in