Von Gottes- und Menschenrechten.
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das religiöse und kirchliche Leben in der Gesellschaft abspielt
und da die Religion ohne Zweifel einen höheren Rang einnimmt
als die bloße Natur, so ist, wenn schwere Konflikte vermieden
und alle Kräfte einer Nation gesammelt werden sollen, vorauszu
sehen, daß um die Gottesrechte demnächst ein ebensolcher Streit
entbrennen wird, wie er einmal um die Menschenrechte geführt
wurde und heute noch tobt. Die Aufklärung hatte ihre Zeit und
man wird sie aus der Geschichte nicht streichen können; aber
sie ist nicht der einzige modus vivendi. Seien wir auch nicht hypo-
krit. Verlangen wir nicht die Taube, ehe wir den Sperling haben.
Wie die Dinge heute liegen, muß man eher eine reinlichere Schei
dung von Kirche und Staat verlangen, als eine engere Verbindung.
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Nach Mignet datiert der Liberalismus von den drei Neins her, 15. X..
die Luther zum Legaten, zum Papst und zum Kaiser sagte. Das
ist nur, was im Ausland von der politischen Reformation bekannt
und populär geworden ist. In der inneren Politik stellt sich die
Sache wesentlich anders dar. ln der „Augsburgischen Konfession“,
die noch Hegel als die Magna Carta der Protestanten bezeichnet,
ist von Volksrechten überhaupt nicht die Rede. Nur ein landes
herrlicher Individualismus ist darin begründet. Nach Luthers aus
drücklicher Verwahrung gehört der gemeine Mann, der Bauer mit
Leib und Seele seinem Herrn, und noch zur Zeit der Gegenrefor
mation gibt es in Konfessionskrisen nur Fürstenentscheide. Die
Untertanen werden katholisch oder evangelisch, je nachdem der
Fürst sich entscheidet. Nur von Rechten der Landesfürsten gegen
über dem Papst ist in der Augustana die Rede; sogar von diesen
Rechten sehr spärlich, und eigentlich nur implizite dadurch, daß
einige Landesfürsten die theologische Revolte in gefaßter Form
dem Kaiser vorlegen. Erst nach Verabschiedung des Reichstags
und Verkündung des Bannes über den sächsischen Kurfürsten