1.
^Deichen Begriff von Flüchtigkeit, Frivolität, Uneigentlichkeit und Schwäche
gewisse Leute mit dem Worte „Geist" verbinden, — ich weiß es nicht! Der
Gedanke, der ganz Gefühl, das Gefühl, das ganz Gedanke zu werden vermag;
ein Affekt, der zugleich Gefühl und Gedanke ist, — das ist der Geist, wahr
haftig, ihr seid nicht ganz im Rechte, wenn ihr meint, es entwürdige das Leben,
indem er sich einen Jux daraus mache — und das Leben nehme ihm alle würde
und lasse ihn gänzlich verbleichen, wenn es sich mächtig emporrichte. Geist ist
Gefühl und Wahrheit, er ist wirklichster Ernst — wie sollte er Raub sein an
ernstester Wirklichkeit!
Ernsteste Wirklichkeit dünkt euch der Krieg, — und also, meint ihr, dürfe
sich der Geist nicht neben ihn stellen, nicht sich mit ihm in Beziebung setzen,
ohne vom allgemeinen Hohngelächter hinweggefegt zu werden? Aber der Krieg,
wie alles Leben, hat den Geist stets nötig gehabt. Er verdankt ihm die eigene
Apologie: die moralische vor allem — wir wollen ganz von der ästhetischen
schweigen — und wenn es unstatthaft und erbärmlich wäre, anläßlich des
Rrieges Geist zu haben, so dürfte ein braver Unteroffizier Schillern auf seine
Lobpreisung des Krieges in der „Braut von Messina" entgegnen: „Lieg erst
vier Tage lang ohne was warmes in einem Schützengraben voll Regenwasser,
so wirst du mitreden dürfen!"
wie, der Gedanke bestünde nicht neben der Wirklichkeit ? Aber wenn der
Krieg Geist zeitigt, so geschieht es vielleicht, weil der Geist den Krieg zeitigte!
Es ist Philister-Mesquinerie, sich mißtrauisch und abschätzig gegen die „Literatur"
zu verhalten, als sei sie gänzlich ein Friedensluxus, die Prätension lächerlicher
preziöser, wit welcher es unter den gewaltigen wirklichkeitsumständen von
heute „gründlich zu Ende" sei. wißt denn ihr, welchen Anteil vielleicht gewisse
Wendungen und neue Willensmeinungen der Literatur an der Wirklichkeit dieses
Rrieges haben und daran, daß er geistig möglich wurde? Unter den drei, vier
Büchern, die sich am häufigsten in den Tornistern unserer im Feld stehenden
Jugend finden, wird „also sprach Zarathustra" genannt...
2.
Die Zweiheit von Gedanke und Wirklichkeit, die Kluft und Fremdheit
zwischen dem Geist und dem Leben ist allerdings eine seelische Wahrheit, ein
Künstlererlebnis zumal, — es war der Schmerz, den meine Jugend am besten
erfuhr. Aber früh auch ward ich gewahr, daß in den Beziehungen zwischen
ihnen alles Glück der Welt beschlossen sei. Neigte der Geist sich nicht werbend
zum Leben und sagte ihm schmeichelnd, daß es die Schönheit sei? Aber wie
lächelte nun gar die Natur, wenn das Leben sich huldigend vor dem Geiste
neigte, — weil es sich in ihm wiedererkannte! Einige weise und Dichter haben
dafür gehalten, daß hier Eros sei und nirgends sonst, — in diesem zarten,
seligen, schmerzlichen, diesem göttlichen Hin und Wider zwischen Leben und Geist.