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Glossen und Kritiken
Aus die Süddeutschen Mo
natshefte sei hiermit nachdrück
lichst aufmerksam gemacht! Wer vou
der Vorzüglichkeit und Vollkommen
heit deutschen Wesens und deutschen
Geistes allzu geru uud sorglos über
zeugt ist» dessen Zufriedenheit wird bei
der Lektüre dieser Hefte eine heilsame
Erschütterung erfahren. Er wird
sehen» was für Wesen uud was für ein
Geist stch deutsch (nicht nur süddeutsch)
ueuueu darf. Uud er wird erkeuneu,
wie sehr wir und gegen weu wir (nach
erfolgtem Zriedeo) Kämpfen uud ar
beiten müssen, damit das Wort
Deutschland den Klang behält, deu wir
lieben. H. S.
Auch auf die „Weiften Blät
ter" fei recht nachdrücklich verwiesen.
Aber in einem sehr anderen Sinne. Seit
dem Schickste sie herausgibt, ist das
Weiß dieser Blätter, das vormals zwar
sehr tadellos uud füruehm, aber etwas
allzu bleiern war, sehr viel bunter, leb
hafter uud frischer geworden. Fast in
jedem Heft findet man neben vielen
Kleinigkeiten irgend eine besondere
Sache. Sei es die ergreifende Ge
schichte, die Kafka erzählt» vou dem
Haudluugsreiseudeo Gregor Samsa,
der zum Mistkäfer verwandelt durch
sein hilflos trauriges Dasein seine §a-
milie in Not uud Schrecken stürzt, sei
es Zrauz Werfels „Gesang von der
neuen Hölle", der Schale, sei es Sterv-
heim» sei es eine der klugen, leiden
schaftlichen und wahrhaft „guten" Be
merkungen des Herausgebers selbst —
immer findet mau etwas Erstaunliches,
etwas Erfreuendes, etwas Schönes.
Eins nur ist schade: Daß der schöne,
wertvolle Text so oft durch minder
wertige Bilder unterbrochen wird.
Was sollen diese Bildchen da? Die
sind ja noch schlechter als die, die wir
im »^Zeit-Echo" bringen. Sie blieben
wirklich besser weg.
Soviel über die „Weißen Blätter" im
allgemeinen. Sn Nr. 11 nun aber (im
November 1915) ereignete sich etwas»
worüber mehr zu sagen ich Unzuläng
licher genötigt bin, da andere es bisher
nicht taten:
Heinrich Manu schreibt über
Zola. — Nachdem er einige Sahre
früher über Zlaubert geschrieben hat.
Damals schrieb er mit ruhiger uud be
herrschter Leidenschaft. Ein großer
Künstler analgsierte, verteidigte uud
pries deu größeren. 2m Größeren stch
selbst. Die kleine Schrift war das Be
kenntnis eines Künstlers. Durch das
freilich viel Neues nicht bekannt und
manches unterstrichen wurde, was
fromme Leser schon aus den Romanen
wußten.
Was aber frömmere Leser im stillen
hofften und glaubten, das wird in dieser
neuen Schrift bekannt, die mehr als das
Bekenntnis eines Künstlers, das eines
Menschen (welches Menschen!) ist. Sch
weiß nicht, ob Manu in seinem Urteil
oder auch in deu Tatsachen immer ganz
recht hat. Aber nichts ist nebensächlicher
als das. Denn diese Schrift ist keine
Biographie oder Kritik, bei der mau
fragen dürfte: Stimmt es? Hier stimmt
alles nach einem ganz uureichlichen, nach
einem tief wahrhafteren Gesetz. Hein
rich Mann erzählt das Leben Zolas;
ganz einfach» wie mau so etwas erzählt;
mit Namen, Daten uud Zitaten. Aber
wenn irgendwas in der Welt, so ist
diese Lebensbeschreibung eine Dichtung.