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Sungdeutjchland
^Aie könnten wir, Aufgeschreckte, nns den Smpressionen der Straße entziehn» die
wir wild durchliefen» nm nns doch ;u festigen? Wenn an den Straßenseiten, die
sich im Abend baden, die langen Zahnen herniederschwanken: riesig über nns jn
einem nicht mehr sichtbaren Himmel aufgestellte Zalten dicken Luches» fast steinern
gestemmt» da die Luft rnhtl
3m strahlenden Mittag bot ein andres Bild die gewundene Straße: da
rückte, Reihe an Reihe, gegürtet nud unter Mützen, in langem Zuge „Sung-
deutfchland" ans, kleine Einzelne, gefchlosien die Straße füllend. Anders als die
Soldaten gehn, die ruhig und fast mürrisch sind; Heller, heftiger, bewegter.
„Snngdentschland" — was konnte klingender heißen als mit diesem ver
pflichtenden Namen, was mehr Hoffnnng, Stolz, Gefaßtheit, Bereitschaft verheißenl
Melleicht klänge „das junge Deutschland" schöner noch als das kindlich romanti
sierende Wort — aber nörgeln wir nicht; da es das jnnge Deutschland ist.
Oder sein mag. Gesammelt, zum Zuge geordnet das „junge Deutschland".
Zwei Berheißnngen in einem „3ngeud" und „Deutschland". Sn welche Ecken ist
nnn das alte versprengt, da entschlossen das junge anftritt?
O wahrhaft große Zeit — da die Sagend erstand: da sie sich selbst gewann,
chre Sagend, ihre Erziehung — Schande über das Alter! — in eigne Hände nahm,
da sie erkannte, daß Erziehung Sngendwerk» Sugeudtat, Sugendpflicht ist, nur
Selbst erziehung bedeutend (wie nur Selbstbefreiung), und jede andre — höchstens
und bestens Unterricht! Dem jungen Deutschland gelang eine Überraschung für
Sahrhnnderte: den höchst relativen und nur phgsischen Begriff „Sagend" absolut —
und zu einer unentbehrlichen Lugend zu statuieren!
Braucht Shr denn Zahnen, Shr Säuglinge und Knaben: Euer Herz schlägt
doch, hinter die helle Stirn! Behaltet die Lrommeln zum Rufe Eurer Zreiheit —
aber verkauft Luch und die Zreihmt ihnen nicht. Was braucht Shr Waffen, da
Shr leidenschaftliche Hände habt! Eure Reinheit ist außer Frage; belastet Luch,
verdrängt keine Antwort heischende Not — und gelobt Euch dem Geist!
Als wir an der Bordschwelle standen und diesen Zug erwachsender Knaben —
uns war, als wüchsen sie unter unsern Blicken — durch diese klare Straße
vorüberließen» anfgestreckt ging jeder und alle zusammeugeordnet, die „Hoffnnng"
mit Bewußtsein überbietend:
da fuhr es uns heiß ins Herz: wenn diese (unter uns ständen, dieses junge
Deutschland! Wenn ans oft mißbranchter Phrase wieder ein jüngstes Deutschland
erstünde! Wir wollten unter Luch stürzen, wie Shr da gingt; nicht als Führer
vor Euch — eine begeisterte Phalanx, ans der empor wir für Ench, zu Euch
sängen! Die Arme verkettet» die Hände um Eure Racken, Eure Hüften geworfen,
einzige große Blüte eines Bolks» voranstürmend —
Wir lächelten nicht. Wir träumten, We Bataillone des Geistes marschieren
zu hören. Rudolf Leonhard