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Wien, Anfang Dezember JöH
-Lieber und verehrter Freund!
^)ank für Ihren Brief. Auch ich erinnere mich gern unsres letzten Beisammen
seins; es war eine friedliche Stunde an einem friedlichen Tag, eine junge Sängerin
fang uns Schubertsche Lieder vor, und dann sprachen wir von unsrer Runst
und von unserem Leben. Diese Stunde, dieser Tag, sie sind nun wie ausgelöscht,
und doch haben wir sie besessen, auch die Lieder waren unser Besitz, Geschenke
des Friedens, wir ahnten nichts von dem Verhängnis, das über den Völkern
schwebte, war uns doch der Rrieg allmählich ein Begriff geworden, der mehr
Schrecken der Phantasie als Drohungen der Wirklichkeit enthielt. Sie ermahnen
mich, ein Wort über die Lügen zu sagen, die in den neutralen Ländern über
uns Deutsche im Schwange sind; es kommt mir vor, als würde ich zu einer
Jagd auf Aasvögel eingeladen oder als sollte ich meine Meinung über Hyänen
äußern. Und wer bin ich, daß ich reden sollte? Ein winziges Ding im unge
heuren Ganzen. Ist es nicht anmaßend von dem Ding, seine Stimme zu erheben?
Nicht ein wenig lächerlich, da ich schon nicht auf dem Schlachtfelde stehe, nach
Aasvögeln zu schießen, noch dazu mit der denkbar geringsten Aussicht, sie zu
treffen und in ihrem lichtscheuen Geschäft zu behindern? Schweigen ist jetzt
unser bestes Teil, wir stehen im Schatten, es ist unser pflichtschuldiger Platz.
Aber Sie erwecken die Illusion in mir, daß es nützlich sein könnte, zu reden; es
genügt mir, dies zu hoffen, denn irgendwie zu nützen, muß jeder willig und
bereit fein.
Elend und Iammer hatten wir vom Rrieg erwartet, Uebermaß des Leidens,
Ueberfülle von Schmerz und Trauer; er enttäuscht uns hierin mit Nichten, was
wir nicht von ihm erwartet hatten, wenigstens in solcher Sturzflut nicht, ist
eben das, was Sie mit Noamen nennen, die Lüge. Er schien uns trotz aller
Gräuel immerhin eine heldenhafte Angelegenheit zu fein, eine Sache der Bravour,
des Heldenmuts und der Entsagung. Nun sehen wir durch ihn auch ein Spiel
von Schmähsucht und Verleumdung begünstigt, das ihn seiner schauerlichen
würde fast entkleiden könnte, wäre das Blut der Hunderttausende nicht, das
den Erdboden ganzer Provinzen rötet.
Ich muß ehrlich gestehen, ich finde es mit der Haltung des deutschen Volkes
nicht gut vereinbar, mit seiner moralischen und seiner geistigen nicht, daß es
sich gegen Anwürfe soll verteidigen, die in ihrer Rünstlichkeit und Frivolität
in sich zusammenbrechen, wenn man nur Augen hat, zu sehen, und Ohren, zu