29
sein Volk. Es war eine Zeit der passiven Resistenz, des kaum
beginnenden Zweifels an den Wahrheiten des Patriotismus
und der Monarchie, der Gereiztheit, die darauf lauerte,
in die Fäuste zu fahren — eine Zeit der Schwüle und des
Jammers. Dada mußte in einer solchen Atmosphäre etwas
anderes werden als jene sanfte Besprechung und Ueber-
einkunft zur Idylle, welche man in Zürich daraus gemacht
hatte. Um das Interesse von Menschen zu erregen, die
nach ihrer Ansicht in einem wilden Kampf nicht nur um die
+ Existenz ihres Staates, sondern auch um die Existenz ihrer
Kultur standen, mußte man andere, politischere, wirk
samere Mittel gebrauchen, als sie in Zürich überhaupt an
gewandt werden konnten. Das Jahr 1917 verging mit Ex
perimenten, bei denen das Wort Dada nicht einmal er
wähnt wurde. Ich hatte mich meiner ganzen Einstellung
nach von der „modernen Kunst“ entfernt. Mit John Heart-
field und Jung (dem finsteren Dämoniker!) machte ich die
Neue Jugend und gründete mit Heartfield ad hoc den Matik-
Verlag. Während ich mit dem Neuen Menschen, einen Auf
satz, den ich in der ersten Nummer der Wochenausgabe
der Neuen Jugend veröffentlichte, wieder in eine mir heute
unverständliche Propagation des Menschlichkeitsschwindels
zurückfiel, machte Heartfield in der typographischen Auf
machung der Zeitschrift schon wahren Dadaismus, indem
'er versuchte, die von den Futuristen überkommene Intellek-
tualität der typographischen Anordnung in ein Geschrei
von Farbe und Buntheit aufzulösen. Unser Dadaismus
bestand damals zur Hauptsache in ungeheuren Saufgelagen
bei Mampe und Kempinski, wo ich mit George Grosz sehr
viele Flaschen Old Romeiro und Douro Portwein trank.
Im Januar des Jahres 1918 gab ich zusammen mit den Dich
tern Theodor Däubler, Max Herrmann-Neisse und dem
leider bekannt gewordenen Vortragskünstler Hans Heinz
(nu ja!) Twardowsky — einem typischen Berlin Ww-In-
tellektualprodukt, einen Vortragsabend, an dem ich es durch
Anwendung roher Gewalt und verschlagener Schieberkünste
verstand, am Anfang (obwohl ich nach Rang und Wert
beurteilt an den Schluß gehört hätte) zu sagen, daß dieser