Volltext: Jahresbericht 1977 (1977)

Zwei dieser Quadratbilder sind neu in die Sammlung 
des Kunsthauses Zürich aufgenommen worden: 
«Grey Question» von 1963 und « Red Reminder» von 
1964. Sie hängen neben zwei früheren Beispielen 
aus dem Schaffen von Albers, dem Glasbild « City» 
aus der Bauhaus-Zeit von 1928 und der Gravur 
«Engraving U 7» von 1955, die zu den « Strukturalen 
Konstellationen» gehört. Alle vier Werke zusammen 
bestechen durch die Sparsamkeit der darin an- 
gewandten Mittel. Das hat Albers als Grundregel für 
sein künstlerisches Schaffen verstanden. Er setzte 
sich zum Ziel, das Verhalten von Linien in der Fläche 
und das Verhalten von Farben in der Fläche zu 
veranschaulichen. Nicht mehr und nicht weniger. 
Seine Quadratbilder sind der malerischen Weisheit 
letzter Schluss, zu der er schliesslich gelanate. 
und mit sauberer Kontur» aneinanderstossen. Denn 
nur so können sie sich gegenseitig beeinflussen. 
Das heisst, Farben scheinen an Tiefe zu gewinnen, 
oder sie scheinen nach vorn zu dringen, sie 
scheinen sich zu überlagern und an den scharf ge- 
zogenen Grenzen zu verdichten. Farbräume ent- 
stehen, ohne dass eine echte Perspektive vorhanden 
wäre. Ist das, was wir sehen, die Wirklichkeit, 
oder das, was maltechnisch vorhanden ist? Albers, der 
sich gern in der aphoristischen Gedankenverkür- 
zung seiner «Statements» ausdrückte, notierte: «Nur 
der Schein trügt nicht.» 
Schauen wir «Grey Question» und’ «Red Reminder» 
an. Sie messen 120x120 cm und gehören zu den 
Grossformaten, die Albers für die «Squares» gewählt 
hat. Jedes der beiden Bilder enthält drei Quadrate, 
und das innerste ist gleich klein. Das eine Bild führt 
von Grün über ein mittleres Grau zu einem Dunkel- 
grau im Mittelpunktsquadrat, das andere von Braun 
über Rotbraun zu Dunkelrot. Grau, das als be- 
ruhigend ausgleichender Farbton gilt, drängt nach 
vorn vom Bildgrund weg, und das Rot, das als 
eher aufregend gilt, entgleitet nach hinten in imagi- 
näre Tiefen. Jemand anders mag die Farbaktivität, 
die von diesen Werken ausgeht, verschieden empfin- 
den. Jeder Betrachter erschafft sich seinen 
aigenen «Albers», eine eigene Illusion und Inter- 
pretation. Man könnte viel Deutungsschwere an 
Albers’ Farbquadrate knüpfen, ausschweifend vom 
meditativen Charakter in philosophische Gedanken 
über die Relativität der Wahrnehmung und den 
Gleichniswert, den man in den Identitätswechsel der 
Farbe hineinsinnieren kann. Auch das Prinzip Zeit 
mag man beiziehen, weil die Vieldeutigkeit des dem 
Auge ständig entgleitenden Farbraumes zum fort- 
gesetzten Lesen der Bilder verführt. 
Albers wollte den Betrachter über die Wahrnehmung 
der Farbe zum Erlebnis der Farbe führen. Andere 
Maler vor Ihm und nach ihm wollten das auch; so un- 
mittelbar von einem sinnlichen Erfassen in ein 
geistiges Verstehen übergehend, gelang es kaum 
einem anderen wie Ihm mit seinen « Squares ». 
Drei oder vier Quadratflächen liegen übereinander 
und werden dem Zentrum zu kleiner, sie liegen 
symmetrisch an der Vertikalachse und asymmetrisch 
an der Horizontalachse. Nur das innerste Quadrat 
ist ein volles Quadrat. Die Farbe ist aus der Tube mit 
dem Palettenmesser auf die Holz- oder Masonit- 
platte aufgetragen, ohne Korrektur, ohne Unter- und 
Übermalung in einer Schicht. Mischungen mit 
Weiss gibt es nur dann, wenn ein gewünschter Ton 
(Rosa zum Beispiel) im Handel nicht erhältlich 
ist. Auf der Rückseite eines jeden Bildes hat Albers die 
verwendeten Farben vermerkt. 
Albers sagte, dass die von ihm gewählte quadratische 
Rasterung des Bildgrundes, und die neutralisie- 
rende Oberflächenbehandlung, die von ihm beabsich- Die Titel verweisen auf den Stimmungsgehalt. Albers 
ägte Eigenwirkung der Farbe vorbereite. Ganz iebte das Wort Farbklima und machte darauf 
wichtig ist dabei die Tatsache, dass die Farben «auf aufmerksam, dass ihn oft Natureindrücke berührt hät- 
einer mittleren Ebene der Lichtintensität . . . flach ten, dass Titel aus Assoziationen folgten, die sich 
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