Einheit bedeutet meist zugleich eine neue Stufe von
Gesetzmässigkeit. Blickt man von dem Stilleben von
Claesz zu den früheren Bildern von Soreau und van der
Ast, wird das Gemeinte anschaulich: weniger und formal
einfachere Gegenstände sind stringenter angeordnet, die
Farben reduziert, Licht und Raum vereinheitlicht, doch
zugleich weicht das aufzählende Nebeneinander, das exakt
Abbildungshafte einer neuen Stufe in der Komplexität der
Fügung der Objekte, der Modulierung des Lichtes und
seiner Reflexe, in der Exaktheit der Wahrnehmung.
Gegenstände sind, solange die Kunst abbildend bleibt, die
einfachsten Gegenstände von Bildern: anders als Land-
schaften oder gar Lebewesen sind sie klar fassbar, unbeweg-
lich in sich ruhend, exakt definiert. Stilleben als Bilder von
Gegenständen entwickelten sich als Isolierungsprozess aus
einem grösseren Zusammenhang; so löst sich als erstes das
Vanitas-Stilleben mit dem Totenkopf aus dem komplexen
Bedeutungsgefüge spätmittelalterlicher Flügelaltäre. Sehr
schön lässt sich diese Thematisierung von Einzelheiten bei
Georg Flegel, einem der frühesten professionellen Stille-
benmaler, verfolgen. Als Gehilfe Valckenborghs malt er
zunächst in grossen Kompositionen der «Jahreszeiten» die
Dinge: die Blumen im Garten des «Frühlings», die Früchte
auf dem Markt des «Herbstes». Doch um 1600 macht er
sich selbständig, Figuren und Landschaften verschwinden
und mit ihnen die kosmologische Idee der Jahreszeiten als
«Bedeutung»; die zunächst noch relativ grossen Stilleben
werden zunehmend kleiner, die Anzahl der Gegenstände
sinkt, während ihre künstlerische Durchdringung zu-
nimmt.
Der niederländische Bildersturm 1566 führte nicht wie
in Zürich zu einem Zusammenbruch der künstlerischen
Produktion, sondern liess, zumal in den protestantischen
nördlichen Provinzen neue, von den kirchlichen Bedin-
gungen und devotionalen Zwecken befreite Bildformen
entstehen. Man könnte den Einbruch mit der Erfindung
der Photographie vergleichen, welche die Malerei von der
exakten linearen Abbildung der äusseren Wirklichkeit ent-
lastete. In beiden Fällen verschob sich die Aufmerksamkeit
vom Bildinhalt zur künstlerischen Umsetzung, um 1600
bis zum Extrempunkt der hoch komplexen, verkünstelten
spätmanieristischen Figurenkompositionen, im 19. und
20. Jahrhundert vom Impressionismus über die verschie-
denen Avantgarde-Bewegungen bis zum äusserst subjek-
tiven und esoterischen Informel. Und beiden vom Alltag
weit abgehobenen Strömungen folgte mit dem neuen Rea-
lismus und der Pop Art die möglichst direkte Präsentation
des unabweislich vor den Augen und den Händen lie-
genden dinglich Wirklichen: so rücken das Stilleben
Claesz und die Suppenbüchse Andy Warhols zusammen,
wobei gerade in dieser Vergleichbarkeit der Unterschied in
der Auffassung der Dinge und damit im Bezug zur Welt
krass hervortritt.
Auf den frühen Stilleben dominieren stets Naturalien:
Blumen, Früchte und andere Esswaren, Muscheln oder
eben Totenköpfe; oft tummelt sich Kleingetier oder sitzt
eine Fliege auf einem Apfel und zugleich illusionistisch auf
der Bildoberfläche. Doch diese Überschreitung der Nature
morte verschwindet bald oder wird in eine Sondergattung
verdrängt; charakteristisch, dass Stoskopff in der jüngst
vom Basler Museum erworbenen, erstaunlichen «Vanitas»
den emblematisch auf die Seele verweisenden Schmetter-
‘ing wieder tilgte. In solchen Evokationen der Eitelkeit des
Irdischen, wie sie auch Claesz pflegte, machen sich neben
dem Schädel die von Menschenhand geschaffenen Dinge
zunächst breit. In unserem Gemälde mag die Uhr an diese
Tradition erinnern, so wie mit den paar marginalen Hasel-
nüssen Natur in der knappen Dosis eines Gewürzes zuge-
lassen wird; ein Messer ist noch vorhanden, zu schneiden
gibt es nichts mehr. Denn Claesz erfasste früh, erstmals
bereits in dem 1626 datierten, zauberhaften Nachtbild mit
Kerze, Glas und Büchern im Mauritshuis, dass künstliche
Gegenstände dem gestalterischen Zugriff vollständig unter-
worfen sind, während Pflanzliches letzlich wildwüchsig
und unkontrollierbar bleibt.
Claesz wählt auch in unserem Bilde wenige, präzise
Objekte. Dank der international führenden Handelstätig-
keit und dem hochstehenden Gewerbe verbreitete sich in
Holland der allgemeine Wohlstand in einer zuvor nie
erreichten Weise. Die Grundbedürfnisse der ganzen Bevöl-
kerung konnten dauernd gedeckt werden, und eine relativ
breite bürgerliche Schicht verfügte über weit mehr Mittel,
als sie zum Leben benötigte. Mit diesem neuen Reichtum
konnte expansiv und mit demonstrativer Fülle verfahren
werden, besonders etwa, wo ein Konkurrenzverhältnis zum
Adel bestand: raffinierter und zugleich reiner und damit