Parallelen seiner Jahresringe die durchwachsene Zeit stets
gegenwärtig bleibt, entspricht den zeithaltigen Schich-
tungen der Bildgründe; die Lineamente der Fasern sind
Spuren der Lebensvorgänge wie Twomblys vital gespann-
te und emotional zitternde Striche. Meist greift er es ın
Form von Kistchen auf, die mit ihrem Inhalt ihren Her-
stellungszweck verloren haben; gerade dadurch sind sie
als leere wieder zu ihrem hölzernen, so und so proportio-
nierten Kistchen-Dasein zurückgekehrt, das nun neuen
Assoziationen und Zusammenhängen offen steht. Das
Dienende ist ihnen eigen und so dienen sie oft als Sockel,
doch gehen sie in dieser Funktion nicht auf; sie bleiben
eigenwertige, gleichberechtigte Elemente des Werkes. Am
deutlichsten wird dies in den einfachsten Arbeiten, etwa
in derjenigen mit dem einzelnen, leicht abgehobenen
Brettchen (Abb. 23), in dem nun zugleich das Liegende
ınd Labile von Brettern im «Normalzustand» zur Geltung
<ommt. Latten haben in ihrer Gerichtetheit wieder einen
anderen, dynamischeren Charakter, den Twombly in der
aufschnellenden, zeichenhaft in den Raum ragenden Dia-
gonale nützt (Abb. 21). Auch wenn man in diesen drei
Verarbeitungsformen von Holz rein formal Körper,
Fläche und Linie sehen will, spürt man sogleich, dass dies
eine unzulässige Reduktion wäre, dass die sinnliche Sub-
stanz, Körperlichkeit, lebens- und geschichtenhaltige
Rauheit wesentlich bleibt und das eigentliche Substrat bil-
det. Wie ganz anders wirkt dies als die rein geometrischen
Formen, welche die Minimal-Artisten für ihre aseptischen
Wahrnehmungsexerzitien produzieren liessen!
Holz erscheint nicht nur in aufgesägter, sondern auch
in naturwüchsiger Form, nicht in der Massigkeit von
Baumstämmen, aber als aufstrebende Ästchen und fein
zespannte Gerten. Einer der entsprechenden Zürcher
Arbeit (Abb. 20) eng verwandten Skulptur fügte Twomb-
'y den Text ein: «And we who have always thought of hap-
piness climbing, / would feel the emotion that almost
;tartles when / happiness falls?» Das dem Pflanzenreich
entnommene Material wird in der ganzen Fülle seines
Gewachsenseins in das Kunstwerk aufgenommen und
zum sympathetischen Träger menschlicher Emotionen.
Twombly ist noch weiter gegangen und hat nicht nur die
dauerhaften Blätter der Palme, sondern auch andere ver-
zängliche, dazu Blumen, Rosen und Tulpen, in seine
Skulpturen aufgenommen, die so nur in ihren Abgüssen
oder mit künstlichem Ersatz überleben können.
Eine zweite, untergeordnete Kategorie von Materialien
bilden die Elemente, welche die organischen verbinden
oder zusammenhalten, das «Bindegewebe». Nägel, Kleb-
stoff und dergleichen verschwinden öfters unter der
Bemalung - vielleicht fehlen sie überhaupt, denn die ein-
zelnen Teile könnten auch lose aneinander gefügt sein.
Die Fragilität der Objekte gehört wesenhaft zu ihnen,
Resultate seismographischer Eingriffe, die weder schwere
Arbeit noch gewichtige Massen vertragen. Der Künstler
gibt sie deshalb auch nicht in den Handel - für diesen sind
nur die Abgüsse bestimmt -, sondern hütet sie zu Hause
oder in Museen!®*, Manchmal sprechen die verbindenden
Materialien durchaus mit: ein Draht wiederholt die ver-
knüpfende Geste, Bänder umgreifen wie Hände das
Schilfrohr (Abb. 20, 14). Um 1955 schuf Twombly ein
paar Skulpturen als umwickelte Bündel von Umwickel-
tem; das Zwanghafte des Einschnürens erinnert an Ritual-
objekte primitiver Kulturen!“
Erst relativ spät greift Twombly zu einem amorphen
Material, einem Gemisch von Sand und Gips, dem der
Künstler eine Form geben muss, wie es bei herkömmli-
cher Skulptur üblich ist. Soweit wir sehen, verwendet er es
erstmals für das aus zwei Rädern und einem Dreieck gebil-
deten Objekt (Abb. 18), das an die Zeichen für archaische
Streitwagen in den Gemälden aus dem Trojanischen Krieg
erinnert”. Es stammt von 1979, also dem Jahr nach Goethe
in Italy und der dort skizzierten Annäherung der Verwen-
dung von Farbe an traditionellere Vorstellungen. Doch
wie in jenem Fall bleibt auch hier die Materie selbst primä-
rer Ausdruckswert: das spröd poröse, die geometrischen
Formen korrosiv zersetzende erdige Gemisch gleicht das
Zeichen halb verwitterten archäologischen Fundstücken
an - eine Spur menschlicher Willensaufbäumung, die sich
ım Gestaltlosen des Erdreiches verliert. Dass dieses chto-
nische Chaos aber zugleich der Nährboden neuen Lebens
bildet, zeigt die Verwendung der gleichen Masse in den
Objekten mit pflanzlichen Elementen von 1983 (Abb. 20,
24) und der Humul genannten Skulptur von 1986, in der
eine Scheibe aus solch amorpher Aufschäumung auf-
:aucht und so unmittelbar an die von Twombly auch in
Bildern evozierte Schaumgeburt der Aphrodite erinnert!®.